Bundeswehr Afghanistan-Abzug: Achillesferse Logistik

Das Berge- und Abschleppfahrzeug Bison gehört zu den letzten größeren Fahrzeugen der Bundeswehr in Masar-I-Scharif. Hier beim Verladen in eine AN-124 zum Transport nach Afghanistan 2012. Foto: Bundeswehr – Medienfreigabe

Für den Rückzug der NATO-Streitkräfte aus Afghanistan galt zunächst ein Zeitfenster bis September. Dieses wäre für die Abzugslogistik der Bundeswehr unproblematisch gewesen, so die Rückmeldung aus Gesprächen, die der Autor in der Bundeswehr-Logistikplanung geführt hat. Doch der von den USA jetzt anvisierte Abzug bis Anfang Juli setzt die Materialrückführung der deutschen Streitkräfte unter Stress.

Keine Ergänzung mit Seetransport

Denn deren Abzug aus Afghanistan ist völlig auf den Lufttransport angewiesen. Eine Ergänzung mit Land/Seetransport über Pakistan ist wegen dessen Angreifbarkeit keine Option. Bei der ersten großen Rückverlegung 2013 zum Ende des ISAF-Mandats konnte die Bundeswehr Seetransport zumindest noch zur Entlastung nutzen. Damals wurde Material zum nahen türkischen Schwarzmeerhafen Trabzon ausgeflogen, gesammelt und dann mit Seecargo nach Deutschland verbracht. Diese Seekomponente hat ein erhebliches Potenzial. Hierfür hat die Bundeswehr einen Vertrag mit der dänischen Reederei DFDS – Projekt ARK – zur Nutzung von zwei Roll-on Schiffen, die jeweils mehr als 10.000 Tonnen transportieren. Allerdings mit einer Zulaufzeit von 15 bis 30 Tagen. Diese Option wurde auch diesmal geprüft, allerdings verworfen, da es zu aufwendig gewesen wäre, in der Kürze der Zeit in der Türkei eine „Vorstaufläche“ aufzubauen.

Für die Luftcargo kann die Bundeswehr ihr SALIS Charterabkommen mit dem ukrainischen Unternehmen Antonow über AN-124 oder andere Cargo-Maschinen nutzen, die der Auftragnehmer stellt. Laut Vertrag 830 Flugstunden im Jahr. Zudem gibt es noch den „militärischen Aktivierungsfall“ für eine Notevakuierung von Material. Dann können gestaffelt von 72 Stunden bis neun Tagen fünf An-124 zulaufen und durchgehend genutzt werden. Zudem hat die Bundeswehr noch ihre Logistik-A400M (circa 18), welche die Strecke allerdings nur mit Zwischenlandung zur Betankung schaffen.

Beschränkte Cargo-Rotation

Der limitierende Faktor ist allerdings nicht die Verfügbarkeit von Lufttransport sondern das Maximum der Rotation, die das Flugfeld bei Mazar-I-Scharif samt Personal und Technik zum Beladen für die abziehenden Streitkräfte wie die Bundeswehr erlaubt. Mehr als zehn Flüge pro Woche der AN-124 mit 120 Tonnen Nutzlast sind für die deutschen Streitkräfte nicht machbar. Auch wenn es bis dato noch ihr Anspruch ist, die Maschinen wirtschaftlich zu fliegen, also den Stauraum optimal zu nutzen, wird es für eine umfassende Materialrückführung eng.

Wegen der begrenzten Rotation dürften die A400M (37 Tonnen Nutzlast) für die Logistik kaum zum Tragen kommen. Dabei hat die Bundeswehr nur noch wenig übergroßes Material vor Ort, das ausschließlich die AN-124 transportieren könnte. Es sind größtenteils Nutzfahrzeuge wie LKW oder geschützte wie der Dingo, den auch ein A400M schafft. Die Antonow-Maschinen können keine Personen transportieren. Zum Ausfliegen seiner aktuell knapp über 1000 Soldaten vor Ort nutzt die Bundeswehr die taktische Variante des A400M (circa 13). Diese verfügen über ballistischen Schutz gegen den Beschuss mit Maschinenwaffen. Seit 2019 gibt es auch eine Raketen-Abwehreinrichtung. Unbekannt ist, in wieviele A400M diese eingerüstet ist. Jede dieser Transportmaschinen kann 110 Personen aufnehmen. Solche Überführungsflüge schafft der A400M Non-Stop nach Deutschland.

Unsicherheitsfaktor Russland

Ziel der Bundeswehr ist es, das Lager Marmal bei Masar-I-Scharif völlig entleert, quasi „besenrein“ an die afghanischen Behörden zu übergeben. Vor Ort werden nicht-militärisches Material wie Küchen oder PKW an die Afghanen verkauft, so weit möglich. Unbedingt vermieden werden soll ein überhasteter Abzug, der nach Flucht aussieht und dazu zwingt Hochwertmaterial wie beispielsweise den Spähpanzer Fuchs zurückzulassen. Bilder von jubelnden Taliban, die im Lager auf deutschen Kampffahrzeugen postieren, sind das Grauen der Militärs. Dazu kommen könnte es, wenn ad-hoc Ereignisse eintreten, die zum Beschleunigten und intensivierten Ausfliegen der Truppen zwingen, wie Taliban-Attacken. Dann müssten Abstriche am Vorhaben gemacht werden, das Bundeswehr-Wehrmaterial umfänglich auszufliegen. Oder ein Ereignis tritt ein, dass die Material-Logistik erschwert. Beispielsweise, wenn Russland Überflugrechte verweigert. Bis dato kam das nie vor. Allerdings sind die Beziehungen zwischen den Westmächten und Russland zurzeit besonders angespannt – siehe Ukraine. Sollten die Russen solchermaßen agieren, müssten die Cargo-Maschinen der Bundeswehr einen aufwendigen Umweg über die Golfregion nehmen.