Die Westmächte wollen ihren militärischen Beistand für die Ukraine strategischer aufzustellen, damit diese einen längeren Krieg bestehen kann. Das Mittel dazu sollen so genannte „Capability Coalitions“ der Alliierten sein. Diese Koalitionen sollen die zerfaserte Militärhilfe für die Ukraine konsolidieren. Bis dato liefern die Ukraine-Verbündeten vor allem aus ihren Armee-Beständen. Die Europäer geben zudem nur überschaubare Mengen, da sie ihre Streitkräfte über Jahrzehnte ausgehöhlt haben. In der Folge verfügt die Ukraine über diverses Material ohne Reserven. Für die zentrale militärische Fähigkeit des indirekten Feuers bildete sich jüngst eine Artillerie-Koalition unter dem Co-Lead Frankreichs und der USA. Deutschland gehört ebenfalls dazu mit 20 weiteren Ländern einschließlich der Ukraine*.
Schwachpunkt Artillerie-Munition
Das kurzfristige Ziel der Koalition ist eine ausreichende Munitionsversorgung für die Ukraine. Mittel- bis langfristig soll ein ukrainisches Artillerie-Korps mit belastbarer Logistik aufgebaut werden. Unklar ist bis jetzt, welche Zeithorizonte damit gemeint sind. Bemerkenswert: Als Frankreichs Armee-Minister Sebastien Lecornu die Gründung der Artillerie-Koalition am 18. Januar verkündete, war nur von einem französischen Lead die Rede. Kaum eine Woche später war daraus ein Co-Lead mit den USA geworden. Diese stehen in der Artillerie-Koalition der Arbeitsgruppe für Munition vor. Die US-Kapazitäten seien zentral, um das kurzfristige Ziel zu erreichen, die Ukraine mit genügend Artillerie-Munition zu versorgen, so General Jean-Michel Guilloton vor der Presse. Dieser leitet die Koalition mit Laura K. Cooper – stellvertretende Staatssekretärin im US-Verteidigungsministerium für die Ukraine. Laut Guillton kommen zurzeit auf eine verschossene Artilleriegranate der Ukraine sechs russische. Im vergangenen Jahr formulierte die Ukraine einen Monatsbedarf von 250.000 Artilleriegranaten (3 Millionen/Jahr) gegenüber den EU-Europäern. Die erhöhte Zulieferung, die Frankreich bei Koalitionsgründung verkündete, wirkt da kümmerlich. Bisher erhielten die Ukrainer 1000 Geschosse pro Monat von Frankreich, ab diesem Jahr 3000. Das wären 36.000 Artilleriegranaten im Jahr. Die US-Monatsproduktion liegt momentan bei circa 30.000. Allerdings ist die Ukraine-Hilfe weiterhin im Kongress blockiert, ein Ende ist nicht absehbar. Der jüngste Beitrag Deutschlands sind 68.000 Granaten aus einem Rahmenvertrag, den die EDA mit dem französischen Munitionshersteller Nexter aushandelte. Deren Zulauf dürfte sich über einen längeren Zeitraum hinziehen. Laut jüngsten EU-Angaben wird die gesamte europäische Artillerie-Granatenproduktion für die Ukraine Ende des Jahres erst die Marke von 1 Million erreichen.
Schwierige Rüstung bei Artillerie-Systemen
Bei den Artillerie-Systemen soll die Konsolidierung um Frankreichs Radhaubitze Caesar erfolgen. Von keinem modernen System erhielt die Ukraine mehr. 30 von Frankreich sowie 19 von Dänemark. Frankreichs Armeeminister Lecornu deutete bei der Koalitionsgründung an, dass es inzwischen gelungen ist, im frontnahen Raum gewisse Instandsetzungskapazitäten für diese Radhaubitze aufzubauen – über die Einbeziehung der verwandten Landwirtschaftstechnik. Frankreichs Armee orderte im letzten Jahr 109 modernisierte Caesar-Haubitzen MKII. Diese sollen bis 2031 seine Heeresartillerie erneuern. Die Produktionskapazität des Herstellers Nexter liegt 2024 bei 78. Sechs davon kaufte die Ukraine, zwölf wird Frankreich finanzieren. Dafür investiert es 50 Millionen Euros seines Ukraine-Beistandsfonds. Dieser wurde für dieses Jahr mit 200 Millionen Euro bestückt. Um die weiteren 60 Caesar-Haubitzen zu finanzieren, will Frankreich 280 Millionen Euro unter den 54 Staaten der Ramstein-Koalition einsammeln.
Lecornu äußerte bei Gründung der Artillerie-Koalition, dass Frankreich seinerseits bereit sei, in Fähigkeiten zu investieren, die andere Partner produzieren. Als potenzielles Beispiel nannte er die Beschaffung von Boden-Luft-Raketen. Ein Verweis auf die Koalition für Luftverteidigung – die zweite mit französischer Beteiligung. Offiziell sind Deutschland und Frankreich deren Führungsduo. De facto gibt es jedoch eine Triade mit den USA. Denn die leiten die Koalitionsarbeitsgruppe für Systeme. Zentrale Bestandteile des geplanten Abwehrschirms dürften das US-amerikanische Patriot-System für den oberen Abwehrschirm sein, sowie das deutsche IRIS-T für den mittleren Bereich. Beide Systeme sind die bisherigen Hauptwaffenhilfen zur Luftverteidigung an die Ukraine.
In der Artillerie-Koalition will sich Deutschland vorerst auf die Munition beschränken. Eine Caesar-Mitfinanzierung sei derzeit nicht geplant, so ein Sprecher des Verteidigungsministeriums gegenüber dem Autor. Eine Rüstung der Ukraine mit der Panzerhaubitze 2000 ist unwahrscheinlich. Deutschland hat bis dato 14 Panzerhaubitzen 2000 an die Ukraine abgegeben, acht weitere dafür als Ersatzteilspender stillgelegt. Soweit öffentlich bekannt, muss die Instandsetzung bis jetzt in weit entfernen Hubs in Litauen und der Slowakei erfolgen. Zudem liegt der Stückpreis der PzH 2000 mit 17 Millionen deutlich über jenem der Caesar-Haubitze mit vier Millionen Euro. Noch im Sommer 2022 sondierte die Ukraine einen Großauftrag für 100 PzH 2000 für 1,7 Milliarden Euro mit dem Hersteller Krauss-Maffei Wegmann. Doch bis heute kam kein Vertrag zustande. Die Bundeswehr wiederrum bestellt die PzH nur in Kleinstlosen nach, um ihre Abgaben zu ersetzen. Eine größere Haubitzen-Produktion, wie in Frankreich, wurde nicht auf den Weg gebracht. Zudem ist die Ukraine dabei, sich mit einer Rad-Haubitze aus eigener Produktion zu rüsten – der 2S22 Bohdana. Präsident Selensky gab Ende letzten Jahres bekannt, dass erstmals eine Monatsproduktion von sechs dieser Systeme gelang. Es ist allerdings unklar, ob das der Beginn einer ausbaufähigen Serienfertigung ist. Die Caesar und die Bohdana-Haubitze gibt es beide auf einem Chassis des tschechischen Herstellers Tatra, das NATO-Standards entspricht.
Unklar ist bei der Artillerie-Koalition, wie die Rüstung der Ukraine mit Raketen-Artillerie erfolgen soll. Diese ist ein erklärtes Ziel, laut Koalitionsleiter General Jean-Michel Guillton. Frankreich gab vier seiner elf LRU-Werfer an die Ukraine ab, Deutschland fünf von 38 Mars II. Bei Frankreich ist die Erneuerung noch völlig offen. Deutschland plant wieder eine kleine Lücken-Befüllung mit dem PULS-System, zusammen mit den Niederlanden. Es käme also wieder auf die – politisch blockierten – USA an. Die versorgen die Ukraine und europäische Alliierte mit ihrem HIMARS-System. Eine potenzielle Lösung: Der US-Produzent Lockheed Martin und Rheinmetall haben für das begehrte Waffensystem eine Allianz gebildet. Sie bieten europäischen Staaten nun einen auf dem HIMARS basierenden Raketenwerfer an, der in Europa produziert würde. Es ist fraglich, ob es der Koalition gelingt, diese diversen Gegensätze zu konsolidieren, und das vor allem zeitnah. Der Aggressor Russland hat dagegen seine Ökonomie konsequent zur Kriegswirtschaft umgebaut. Zu befürchten ist, dass die Kriegsdynamik die Rüstmaßnahmen der westlichen Alliierten überrollt.
Problematische Rüstungsstrategien in der Artillerie-Koalition
Die erklärte Führungsmacht der Artillerie-Koalition Frankreich beschwört zwar ihren militärischen Beistand für die Ukraine. Tatsache ist jedoch, dass Frankreichs Rüstungsschwerpunkt nicht auf Kontinentaleuropa und Großverbänden zum Landkrieg liegt. Das erst 2023 verabschiedete Militärplanungsgesetz legt seinen Fokus auf den Erhalt strategischer Fähigkeiten und die Beherrschung neuer Technologien. Verteidigungsminister Lecornu betont Atomwaffen, Weltraum und Cyberspace. Zudem gilt: Frankreich sieht den Indopazifik als seine wahre Ostflanke, nicht die Ukraine. In Asien verfügt es über seine Inselterritorien über die größte Ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) weltweit. „Es geht darum, die überseeischen Gebiete in taktischer und logistischer Hinsicht näher an Frankreich heranzuführen. Für jedes Gebiet werden wir eine spezifische Strategie entwickeln“, so der Minister bei einer Befragung zur Verabschiedung des Planungsgesetzes vor dem Parlament. Deutschland versucht, den Ukrainekrieg zu nutzen, um seine Militärstrategie der Bundeswehr als Rahmennationen-Armee für Europa voranzubringen. Diese sieht vor, kleinere Partnerarmeen einzubinden. So sollen langfristig europäische Großverbände entstehen, die auch ohne umfassenden US-Beistand Schlagkraft besitzen. Dafür werden mit Partner wie Tschechien und den Niederlanden verstärkt gemeinsame Beschaffungen angegangen. Daneben vernetzt sich die deutsche Rüstungsindustrie zunehmend mit jener der Partnerländer wie Rheinmetall in Ungarn und Rumänien. Doch diese kleinteilige Netzwerkrüstung ist aufwendig und blockadeanfällig.
* Frankreich, USA, Deutschland, Großbritannien, Belgien Kanada, Tschechische Republik, Dänemark, Estland, Finnland, Griechenland, Kroatien, Lettland, Litauen, Niederlande, Norwegen, Polen, Rumänien, Spanien, Schweden, Türkei, Ukraine.