Auf zur Stückwerk-Bundeswehr 2030

Bundeswehr-Einheiten auf dem Straßenmarsch in Litauen bei der Übung "Griffin Storm" im Juni 2023 - Foto: Bundeswehr/Leo Ross

Bundeswehr-Einheiten auf dem Straßenmarsch in Litauen bei der Übung „Griffin Storm“ im Juni 2023 – Foto: Bundeswehr/Leo Ross

Anspruch einer Nationalen Sicherheitsstrategie muss es sein, den militärischen Faktor klar zu erfassen, um daraus ein belastbares Streitkräfteprofil umsetzen zu können. Die Kardinalschwäche der ersten deutschen Sicherheitsstrategie ist, dass sie genau das nicht leistet. Schlimmer noch, sie negiert zudem neue Bedürfnisse der Politik an ihr Werkzeug Bundeswehr.

So entwickelt sich das Duo Landes- u. Bündnisverteidigung (LV/BV) plus Auslandseinsätze längst zur Triade mit der Ambition zur Machtprojektion im Indopazifik. Nach Marine und Luftwaffe 2022, nimmt das Heer in diesem Jahr am multilateralen Großmanöver „Talisman Sabre“ in Nord-Australien teil. Künftig sollen alle Teilstreitkräfte im Zweijahresturnus Verlegeübungen nach Asien durchführen samt Trainings vor Ort. Die Nationale Sicherheitsstrategie benennt die Vereinigten Staaten und Frankreich als Deutschlands Haupt-Sicherheitspartner.

Beide betrachten den Indopazifik als ihre zentrale militärische Herausforderung. Siehe hierzu für die USA „Kräftemessen im Indopazifik – Kampfkonzept gesucht“ und zu Frankreich „Frankreichs Armee-Umbau: 1870 reloaded“. Da Partner- u. Bündnissolidarität der Haupttreiber für militärisches Engagement der Bundesrepublik ist, wird die Bundeswehr absehbar stetig mehr Ressourcen für Asien aufwenden. Doch in der Nationale Sicherheitsstrategie wird dieser Ausblick für die Streitkräfte völlig ignoriert.

Dabei zeichnet die Strategie den Pfad gen Indopazifik weiter vor. Nach der russischen Bedrohung wird China als Rivale auf Platz zwei der Bedrohungsanalyse platziert. Erstmals werden Rüstungsallianzen klarer als Werkzeug benannt, um Deutschland vorteilhafte Bündnisse zu verschaffen. Auch hier geht der Blick nach Asien. Die Indopazifik-Leitlinien von 2020 formulierten erstmals dieses Interesse; in der verquasten Formulierung: „…die bilaterale Verteidigungszusammenarbeit im Einklang mit exportkontrollpolitischen Richtlinien sowie unter Berücksichtigung der strategischen Qualität ihrer Beziehungen zu Ländern der Region pflegen.“

Während diese Bundeswehr-Herausforderung unter den Tisch fällt, bleibt es bei einer Asymmetrie zwischen Landes- u. Bündnisverteidigung sowie Auslandseinsätzen. Nach der Krim-Annexion 2014 bis zum offenen Angriffskrieg 2022 erfolgte keine ernsthafte Wiederertüchtigung der Bundeswehr für LV/BV. Die Bundeswehr-Konzeption von 2018 legt noch eine Gleichrangigkeit beider Aufgaben fest. Bei inkonsequenter Rüstung blieb ein Fokus auf Krisen- und Konfliktbewältigung.

Die Sicherheitsstrategie schafft neue Asymmetrien. Jetzt gilt: „Der Kernauftrag der Bundeswehr ist die Landes- und Bündnisverteidigung, alle Aufgaben ordnen sich diesem Auftrag unter.“ Allerdings verschwindet mit dem LV/BV-Fokus auf Russland nicht die überfällige Notwendigkeit für Europas Armeen, leistungsfähige Expeditionsfähigkeiten für die Südflanke aufzustellen – eigenständig von den USA, die nicht mehr gewillt sind, hier als Führungsmacht aufzutreten. Auch der tradierte Handlungsrahmen der Bundesrepublik für Militäroperationen – die Vereinten Nationen – wir immer weniger belastbar, wie sich seit Jahren zeigt. Jüngste Zuspitzung sind die Querelen um die MINUSMA in Mali.

Dabei beschreibt die Sicherheitsstrategie de facto die MENA-Region als dritte Hauptbedrohungslage Deutschlands, ohne klare Ableitungen zu treffen. Es heißt lediglich vage: „Die Bundesregierung wird besondere Verantwortung für die Aufstellung der schnell verlegbaren Einsatzkräfte der EU übernehmen.“ Generell positioniert sich die Bundesregierung in ihrer Sicherheitsstrategie so, als sei europäische Selbstbefähigung kein drängender militärischer Gestaltungsfaktor, sondern nur ein gemächlich wachsender Bedarf. Dort steht: „Eigenständige europäische Handlungsfähigkeit ist zunehmend Voraussetzung für die Sicherheit Deutschlands und Europas.“ 

Selbst die militärische Kernambition der Sicherheitsstrategie – die Bundeswehr für ihren künftigen Ostflanken-Gefechtsstreifen nach NATO-Vorgaben zu rüsten – wird mit der Aussage relativiert, das 2 Prozent-Ziel werde Deutschland mit dem Sondervermögen im „mehrjährigen Durchschnitt erbringen“. Das heißt, diese Sicherheitsstrategie hat für die Bundeswehr den kümmerlichen Horizont bis zum Ende der Legislaturperiode 2025. 

Somit gilt: Was die Realität von der Bundeswehr einfordert nebst den Gestaltungsambitionen der Politik, lässt das Delta zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei Deutschlands Streitkräften künftig noch größer werden als bisher schon.