Beim weiten Thema „Ausbau militärischer Infrastruktur an der NATO Ostflanke“, findet in Deutschland vor allem Beachtung, wenn scheinbar der Verlust hiesiger US-Militäreinrichtungen nach Osteuropa respektive Polen droht – siehe die Drohungen von US-Präsident Donald Trump. Kaum verfolgt werden dagegen die Infrastruktur-Projekte der Partnerstaaten in Osteuropa selbst. So warb Polen auf dem Warsaw Security Forum für seine ambitionierte Agenda eines „Solidarity Transport Hub’s“ (STH).
Beim STH ist ein, 40 Kilometer süd-westlich von Warschau gelegenes, Flugdrehkreuz für zunächst 45 Millionen Passagiere vorgesehen. Der Riesen-Flughafen soll in ein dichtes Schienennetz von 1000 Kilometern Bahnschiene eingebettet werden – zwischen Westeuropa und den Ostgrenzen. Die Kosten laut polnischer Regierung: Bis zu 16 Milliarden Euro. Das Flugdrehkreuz als Herz des Projekts soll bis 2027 gebaut werden. Die militärischen Vorteile des Vorhabens laut polnischer Darstellung: Der Flughafen sei ein Sprungbrett für rasche Truppenverlegungen bei potenziellen russischen Angriffen. Ein dichtes Schiennetz erlaube die schnelle Zuführung größerer Truppenverbände. Als Nachschubweg sei es außerdem widerstandsfähiger gegen Unterbrechungen durch gegnerische Angriffe.
Aus polnischer Perspektive berücksichtigen die EU-Maßnahmen zum Aufbau eines Trans-European Transport Network (TEN-T) zu wenig die militärischen Erfordernisse. Der Ausbau von Haupttrassen zum raschen Warentransport sei militärisch nicht ausreichend. „Nur ein engmaschiges Schienennetz ermöglicht es, NATO Truppen in potenzielle Einsatzräume zu verteilen“, so Mikołaj Wild, Staatssekretär im Infrastruktur-Ministerium Polens auf dem Warsaw Security Forum. Ein gut ausgebautes Eisenbahnnetz an den europäischen Ostgrenzen sei essenziell, um Russland glaubhaft von ‚fait accompli Attacken‘ abzuschrecken, so Ben Hodges, Generalleutnant a. D. und Ex-Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa. Auf das Straßennetz für rasche Entsendungen zu setzen, sei ein Trugschluss, meinte Hodges in Warschau. Truppen-Verlegungen müssten in so raschen Reaktionszeiten erfolgen, dass ein Freimachen der Straßen für das Militär unrealistisch sei. Hodges: „Panzer und anderes schweres Gerät müssen unter Friedensbedingungen durch Berufsverkehr und Touristen verlegt werden.“ Laut Hodges gelang es der US-Armee beispielsweise nicht, Panzer mit Schwerlasttransportern durch die Karpaten von Polen nach Rumänien zu verlegen. (Nebenbei sei erwähnt: Die Entscheidungshoheit des Bundestages zu Einsätzen der Bundeswehr war für Hodges wie einige andere Redner in Warschau liebstes Beispiel, wenn es um vermeintlichen Ballast in Sachen „Speed of Decision“ bei NATO-Truppenverlegungen ging).
Aus deutscher Sicht ist nicht nur die militärische Dimension des Solidarity Transport Hub interessant, sondern vor allem die geo-ökonomische. Denn das Vorhaben zielt zuvorderst auf eine wirtschaftliche Stärkung Polens. Dessen Regierung betrachtet den STH als Teil der „Drei-Meere-Initiative“. Von Polen 2015 mitangestoßen, zielt diese Plattform aus Staaten Mitteleuropas darauf ab, dortige Energieinteressen zu bündeln und in der EU durchzusetzen (Bsp.: Mehr LNG statt russisches Gas). Deutschland wirbt seit vergangenen Jahr darum, Mitglied der Initiative zu werden; was Polen’s Regierung kritisch sieht. Verständlich betrachtet man die Querelen um die Gaspipeline Nordstream II. Bei geo-ökonomischen Fragen gilt Deutschland in Polen nicht als konstruktiver Partner. Diese Wahrnehmung Warschaus zeigt sich auch beim Vorhaben Solidarity Transport Hub.
Polen möchte mit dem Flugdrehkreuz eine internationale Fluggesellschaft aufbauen, welche über den Hub die Passagiere Mitteleuropas für Asien einsammelt und verteilt. Wegen der unterentwickelten Zubringerstruktur bei Schienen und Straßen, wäre es vor allem für Osteuropäer bis jetzt einfacher, weiter entfernte westliche Flugdrehkreuze wie Frankfurt zu nutzen. Jacek Bartosiak, bis vor kurzem CEO der Solidarity Transport Hub Projektgesellschaft: „Von Ostpolen bis Stettin brauchen sie zurzeit noch 10 Stunden mit dem Zug; genauso lange wie mit dem Flugzeug von Warschau nach Seoul.“ So schöpfen vor allem etablierte westliche Fluggesellschaften wie die deutsche Lufthansa den internationalen Fluggastverkehr aus Ost/Mitteleuropa ab. Hinzu komme, so Polens Infrastruktur-Staatssekretär Wild in Warschau, dass die Konkurrenz der westlichen Billigfluggesellschaften die meisten nationalen Fluggesellschaften in Osteuropa eliminiert hätte. Diese ökonomische Unwucht soll das Vorhaben Solidarity Transport Hub beseitigen. Allerdings kann Polen das ambitionierte Vorhaben nicht alleine stemmen und braucht Investoren, die bis dato noch fehlen, wie auf dem Warsaw Security Forum deutlich wurde. Nach polnischen Regierungsangaben hat Großbritannien seine Bereitschaft signalisiert, mit einem Kredit von 100 Millionen Pfund in das Flughafendrehkreuz investieren zu wollen. Zudem gibt es laut Medienberichten Interesse auf Seiten Südkoreas.
Mehr zur ökonomischen Dimension des Solidarity Transport Hub in diesem Beitrag des WELT-Kollegen Philipp Fritz: „Polen darf keine Provinz sein!“