Vor Kurzem äußerte der türkische Präsident Tayyip Erdogan, statt der Europäischen Union könne sich die Türkei auch der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit anschließen. Ist das realistisch? Im Westen findet diese Allianz, die meistens unter ihrem englischen Akronym SCO erwähnt wird, noch wenig Beachtung.
Zunehmend wichtiges Bündnis
Aber für immer mehr Staaten wird es machtpolitisch attraktiv, Teil es SCO-Netzwerks zu sein. Als lockere Allianz-Plattform dient die SCO ihren Mitgliedern dazu, gegenseitige Bedrohungen per Bündnisdiplomatie zu managen und à la carte zu kooperieren, wie bei Wirtschaftsprojekten. So versucht der Allianz-Primus China, die SCO für seine Seidenstraßenstrategie zu nutzen, Eurasien ökonomisch zu durchdringen. China und Russland managen mit dem Bündnis ihre Machtbalance in Asien und projizieren die Globalstrategie einer multipolaren Ordnung in Richtung Westen. Neben den beiden Vormächten Asiens gehören noch Kasachstan sowie Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisien zur SCO. Im Sommer dieses Jahres beschlossen deren Mitglieder, Pakistan und Indien aufzunehmen. Zudem gibt es zahlreiche Staaten mit Partnerstatus, darunter die Türkei seit 2012. Erdogans Vorstoß für eine Vollmitgliedschaft seines Landes fand sofort warme Worte des chinesischen Außenministeriums.
Vorteile der SCO für die Türkei
Vordergründig passt die SCO besser zur autoritär regierten Türkei als die liberale EU. Die eigene Handlungsfreiheit zu maximieren, ist unter Erdogan zur außenpolitischen Doktrin des Landes geworden, das sich als der eurasische Schlüsselstaat schlechthin sieht. Die Zeitung Hürriyet zitierte Erdogan mit den Worten „Ich denke, würde die Türkei der SCO beitreten, könnte sie freier agieren.“ Dieses Interesse bedient die SCO mit ihren Kernprinzipien territorialer Integrität und Nichteinmischung in innere Angelegenheiten. Integrationsprojekte mit der Einschränkung staatlicher Souveränität wie bei der EU spielen hier keine Rolle. Der kleinste gemeinsame Nenner der SCO ist der Kampf gegen das, was der Bund aus autoritären Regimen als Separatismus und Terrorismus betrachtet. Dafür unterhält die SCO eigens ein Anti-Terror-Zentrum im usbekischen Taschkent. Das sicherheitspolitische Hauptziel der Türkei, die Kurden niederzuhalten, könnte diese im Rahmen der SCO ungestört verfolgen. Die Reibereien mit den westlichen Verbündeten zu seiner brutalen Kurdenpolitik wäre Erdogan los. Damit enden aber mögliche Vorteile der SCO für die Türkei.
Die Nachteile eines SCO-Beitritts überwiegen
Peking und Moskau beäugen misstrauisch die aktive Kultur- und Wirtschaftspolitik Ankaras in den Turkstaaten Zentralasiens. Bei den dortigen SCO-Mitgliedern soll eine politische Renaissance des Islam, wie ihn die Türkei erlebt, unbedingt verhindert werden. Das ist aktive Bündnispolitik. Streit mit einem Neu-Mitglied Türkei wäre hier sicher. Zudem fehlt einem SCO-Beitritt die ökonomische Perspektive. Fast 45 Prozent der türkischen Exporte gehen in die EU, 75 Prozent der Direktinvestitionen kommen von dort. Auch erhält die Türkei bis 2020 viereinhalb Milliarden Euro aus dem EU-Instrument für Heranführungshilfe. Ein vergleichbares Angebot müsste die SCO erst einmal unterbreiten. Hinzu kommt: Entschiede sich die Türkei für die SCO, würde sie für die NATO untragbar. Bei einem Verteidigungsfall wäre sie nicht mehr glaubwürdig. Die SCO kennt keine Beistandspflicht bei Angriffen auf ein Bündnismitglied. Aber gerade der Abschreckungseffekt des NATO-Beistands ist essenziell für die Türkei. Er verschafft Ankara ein Mehr an Sicherheit und Handlungsfreiheit gegenüber anderen Akteuren im Great Game des Nahen- und Mittleren Ostens.