Der Golfkooperationsrat – Allianz der „negativen Solidarität“

Saudi-Arabien eskaliert den Machtkampf mit dem Iran. Da lohnt ein Blick auf die wesentliche Regional-Allianz der selbsternannten arabischen Führungsmacht, den Golf-Kooperationsrat (GKR). Welchen Charakter hat dieses Bündnis der Golf-Monarchen?

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Saudi-Arabien versus Iran – eine Hauptkampflinie des „Great Game“ im Mittlere Osten – Grafik: W123 / CC-Linzenz / Wikipedia

Um diese Allianz 1981 zusammenzubringen, brauchte es eine, die internen Konflikte der Golfmonarchien überlagernde, Bedrohung. Diese entstand durch weltpolitische Veränderungen Ende der 70er Jahre. Zuvorderst stand der Sturz des Schah-Regimes im Iran 1979. Die sunnitischen Golfmonarchen fürchteten eine Radikalisierung ihrer schiitischen Bevölkerungsteile durch das Mullah-Regime. Auch überfiel die UdSSR im selben Jahr Afghanistan, was die Angst nährte, die Sowjets würden über den Mittleren- auch in den Nahen Osten vorstoßen. Als Reaktion auf das sowjetische Vorgehen erklärten die USA, jeden Versuch einer äußeren Macht am Persischen Golf Fuß zu fassen als Kriegsgrund. Für die Ölscheichs hieß dies, dass sie mit selbstständigen US-Militäraktionen zu rechnen hatten, zumal 1980 der irakisch-iranische Krieg ausbrach und die Golfregion zu einem Pulverfass wurde. Zu Beginn der Allianz stand somit der Versuch im Vordergrund, ein System kollektiver Verteidigung zu schaffen, ergänzt durch eine Ausbalancierung der eigenen Streitigkeiten. Diese sind bis heute erheblich.

Deal um Generalsekretär

Um die Bestellung des aktuellen Generalsekretärs im Sommer 2010 gab es massive Querelen. Bahrain, welches das Vorschlagsrecht hatte, konnte seinen Wunsch-Kandidaten für die Amtszeit ab April 2011 nicht durchsetzen. Katar störte sich an dessen Rolle in einem Grenzkonflikt zwischen beiden Ländern. Bis heute sind die meisten Grenzverläufe zwischen den GKR-Partnern nicht geklärt. Erst ein Brief des damaligen Königs Abdullahs von Saudi-Arabien an den Herrscher Bahrains brachte die Wende. Bahrain benannte den jetzigen Generalsekretär Abdul al-Zayani als Kompromisskandidat. Nur zwei Tage vor dem Deal war es dem Saudiherrscher gelungen, Katar zur Freilassung zweier seiner Staatsbürger zu bewegen, die dort seit 1996 wegen eines Putschversuches in Haft saßen. Der Vorfall zeigte erneut das Spannungsgefüge zwischen den Dynastien der Halbinsel.

 „Negative Solidarität“ hält das Bündnis zusammen

Teilweise wurden die Bündnismitglieder erst mit Beginn der 1970er Jahre zu Staaten. Die dynastischen Konflikte aus der Zeit der Stammesfürsten bestehen jedoch fort, befeuert durch die Konkurrenz um den Ölreichtum der Region. Der alte Emir von Katar, Hamad ben Chalifa al-Thani, hatte seinen Vater noch ins Exil getrieben. Seinem Sohn Tamim blieb das Putschen erspart. Sein Vater dankte 2013 ab, der Junior durfte übernehmen – das war etwas Neues in Arabien. Bis dato galt: Machtwechsel durch Herrschertod oder Putsch – Game of Thrones, statt drögem Republikanismus wie im Westen. Eine „negative Solidarität“ zwischen den Golfmonarchen ist der Kitt dieses Bündnisses. Der kleinste gemeinsame Nenner ist die Gegenmachtbildung gegen den Iran; im politischen Alltag dient der Golfkooperationsrat als Plattform, die dabei hilft, die Spannungen zwischen den Königshäusern auszubalancieren, unter anderem durch ökonomische Kooperationsprojekte, wie dem Vorhaben eines gemeinsamen Binnenmarktes. Substanzielles ist hier bis dato aber noch nicht passiert (dazu in der Folge mehr).

Nicht in der Lage, Beistand zu leisten

Bis heute hat der Golfkooperationsrat drei Entwicklungsphasen durchlaufen.
Phase eins stand unter dem Zeichen militärischer Maßnahmen. Bereits 1982 wurde begonnen, mit dem „Schild der Halbinsel“ eine schnelle Eingreiftruppe aufzustellen. Deren Schlagkraft von 5000 Mann war jedoch begrenzt. Ein Manko, das sich zeigen sollte, als Saddam Hussein Kuwait angriff. Der Kooperationsrat war im 2. Golfkrieg 1990 nicht in der Lage seinem Mitglied Beistand zu leisten. Bei der Befreiung des Scheichtums durch die USA war der GKR nur Statist. In der Folge setzten die Golfstaaten mehr als zuvor auf bilaterale Allianzen mit der Weltmacht.

Versuch der Machtsteigerung

Ausgelöst durch den Offenbarungseid von 1990, begann eine zweite Entwicklungsphase des GKR. Der Kooperationsrat wurde zum Werkzeug für die Könige vom Golf, um durch verstärkte wirtschaftliche Kooperation, interne Machtsteigerung zu betreiben. Die Agenda: Sich mittelfristig von der US-amerikanischen Dominanz zu emanzipieren. 1992 wurde ein gemeinsames Patentbüro eingerichtet. Ein gemeinsamer Außenzoll folgte 2003. Bisheriger Höhepunkt bildet seit 2008 der gemeinsame Binnenmarkt nach Vorbild der EU. Der Plan 2010 eine gemeinsame Währung, den Khaleeji, einzuführen, wurde verschoben. Ursache waren wiederum die latenten Spannungen in der Allianz. Saudi-Arabien, der Primus inter Pares im Bündnis, hatte zunächst durchgesetzt, dass die neue Zentralbank in seiner Hauptstadt Riad angesiedelt wird, wo bereits das Generalsekretariat des Rates seinen Sitz hat. Darin sahen die Vereinigten Arabischen Emirate einen gefährlichen Machtzuwachs der Saudis und scherten aus dem Plan einer Währungsunion aus. Neben den Anstrengungen Wirtschaft und Handel zu beleben, bauten die Staaten des Rates das Militärpotenzial der Allianz aus. Inzwischen kann der „Schild der Halbinsel“ über circa 30.000 Mann und modernstes Militärmaterial verfügen. Entsprechend gewachsen ist das Selbstbewusstsein. Im Jahr 2000 unterzeichneten die Monarchen einen Beistandspakt gegen Dritte. Ziel ist in erster Linie der Iran.

Ein neuer Casus Foederis taucht auf

Eine Eindämmung der schiitischen Vormacht Iran und deren Ambitionen zur führenden Regionalmacht aufzusteigen, ist die „Meta-Sicherheitsagenda“ der sunnitischen Golf-Staaten, mit der sich ein Konsens zwischen den GKR-Staaten herstellen lässt. Aus Sicht der Golf-Herrscher überschneidet sich das iranische Gefahrenpotenzial mit dem neusten Bedrohungsszenario seit dem Arabischen Frühling – dem Sturz ihrer Regime von Innen. Teheran erkennt bis heute die Staatlichkeit Bahrains nicht an und betrachtet die Insel im Persischen Golf als Teil seines Staatsgebietes. Im Zuge der hauptsächlich von der schiitischen Bevölkerung Bahrains getragenen Proteste im Frühjahr 2011 kam es zu schweren diplomatischen Verwerfungen zwischen dem Iran und dem GKR, der Teheran verdächtigte, die Unruhen zu seinen Gunsten zu nutzen. Auch die Vereinigten Arabischen Emirate streiten sich mit dem Iran um drei strategisch wichtige Inseln im Nadelöhr des Persischen Golfs, der Straße von Hormus. Um die Unruhen in Bahrain niederzuschlagen, kam es zum, bis heute einzigen, Einsatz der GKR-Streitmacht „Schild der Halbinsel“.

Die „Rückversicherungs-Allianz“

Die Allianz als Rückversicherung gegen Umsturzversuche von Innen – diese Rolle bestimmte den Beginn einer dritten Entwicklungsphase des Golfkooperationsrates seit 2011. Zur Hochphase der Arabischen Revolutionen gab es im Sinne eines „Gemeinsam sind wir stärker“ den Impuls im Bündnis, auch die Monarchien von Marokko und Jordanien ins Boot zu holen. In Marokko hatte Mohammed VI. den Weg von der absoluten zur konstitutionellen Monarchie eingeleitet. Dieses Konzept der graduellen Reformen wurde vom GKR damals als Gegenentwurf gegen einen harten Systemwechsel wie in Ägypten beworben. Im Zuge des vorläufigen Verebbens der Arabischen Revolutionen, sind auch die Beitrittsverhandlungen mit Rabatt und Amman versandet.

Keine Nibelungentreue der USA mehr

Doch die Agenda „Rückversicherung“ ist nicht nur situative Reaktion auf die Angst vor dem Umsturz, sondern soll den Bund an weitere politische Veränderungen in der MENA-Region anpassen. Die Bemühungen um die Aufnahme von Marokko und Jordanien in den GKR liegt auch das Kalkül zugrunde, die Einflusszone der Allianz im Wettkampf der regionalen Machtpole zu vergrößern. Dies werden in naher Zukunft wohl der Iran, die Türkei und Saudi-Arabien sein. Der schleichende Bedeutungsverlust der USA in der Region seit den Kriegen der Bush-Ära stärkt die Fähigkeiten des Iran, zur ersten Regionalmacht aufzusteigen. Eine Herausforderung stellt auch die Politik der Türkei dar. Deren Versuch sich als neue Vormacht in der Region zu etablieren, fordert den Gestaltungswillen der Golfmonarchen heraus, siehe Syrien, und führt damit zu Spannungen. Betrachtet man die arabischen Revolutionen, den Libyenkrieg oder den Konflikt in Syrien, wird deutlich, dass die besten Zeiten der USA als Entscheider im Nahen Osten vorbei sind. Die Herrscher über das Öl am Golf sehen seit geraumer Zeit, dass Washington seine Nibelungentreue zu den Golf-Despoten langsam aber sicher zu einer flexibleren Strategie wandelt, siehe als aktuellen Höhepunkt den Atom-Deal mit Teheran. Kein Wunder, dass Generalsekretär al-Zayani kurz nach seinem Amtsantritt im April 2011 äußerte, dass der Ausbau der militärischen Fähigkeiten weiter oberste Priorität für den GKR hat.

Was die Allianz nicht leisten kann

Allerdings gilt: Das Fehlen substanzieller Reformen im Innern kann der GKR als „Rückversicherung“ nicht ausbalancieren. Die ökonomisch-gesellschaftlichen Probleme der GKR-Staaten sind gravierend. Trotz erheblicher Anstrengungen will eine substanzielle Diversifizierung der Volkswirtschaften, weg vom Öl nicht wirklich gelingen. Die Volkswirtschaften der Monarchien sind bis heute wenig komplementär. Komparative Handelsvorteile lassen sich eher im internationalen als im regionalen Handel verwirklichen. Eine enorme Jugendarbeitslosigkeit wird wohl bestehen bleiben. Die ausufernde Subventionspolitik der Scheichtümer schafft enorme strukturelle Probleme. So sind fast 95 Prozent der GKR-Bürger beim Staat angestellt, dessen Mindestlöhne jene des Privatsektors weit übertreffen. Der Arabische Frühling hat gezeigt, dass sich der Wunsch nach mehr Partizipation in der Bevölkerung, von den Golf-Despoten nur durch Repression und noch mehr Alimentierung in immer höheren Dosen und kürzeren Intervallen betäuben lässt. 

Die Allianz im aktuellen Machtkampf Riad versus Teheran

So wie der Golfkooperationsrat die Golf-Potentaten perspektivisch nicht vor dem Verlust der Macht bewahren kann, so wenig taugt er als Werkzeug für Riads aktuelle Konfrontationspolitik gegen Teheran. Zwar beargwöhnen die Golf-Herrscher alle den Machtzuwachs der Mullahs, aber in jeweils unterschiedlichem Maße. Kuwait und Oman setzen auf eine Ausgleichspolitik gegenüber Teheran. Erstgenannter läge im Kriegsfall direkt auf dem Präsentierteller; der Oman ist mit dem Iran wirtschaftlich stark verbandelt. Eigentlich wollte das Sultanat vom Ende des Sanktionsregimes gegen Teheran profitieren. Jetzt dem totalen Abbruch der Beziehungen – diplomatisch wie wirtschaftlich – gegenüber dem Iran zu folgen, wie ihn der Bündnis-Primus Saudi-Arabien vornimmt, passt sicher nicht in das omanische Kalkül. Zur Relativierung des Bedrohungsfaktors Iran kommt wieder das „Spiel der Throne“ hinzu. Die Al-Thanis von Katar folgen dem Anspruch, sich vom Führungsanspruch des Hauses Saud zu emanzipieren. Dazu gehört der erfolgreiche Aufbau von Al-Jazerra, als Nachrichten-Sender Nr. 1 in der arabischen Welt oder auch Versuche, sich eigene Einflusssphären zu schaffen, wie mit der Unterstützung für das Tripolis-Regime in Libyen. Das passiert in regem Wettstreit mit den Vereinigten Arabischen Emiraten (dazu eine Übersicht in diesem SPIEGEL-Beitrag); die wiederum die Rückendeckung der Saudis genießen.

Somit folgen die Junior-Partner im Golfkooperationsrat nur widerwillig dem Kurs des Allianz-Primus Saudi-Arabien bei seinem Eskalationskurs gegen Teheran. Umfassende Gefolgschaft, in Sachen Abbruch der Beziehungen zum Iran, hat aber nur Bahrain gezeigt – jenes Emirat, dessen sunnitische Chalifa-Dynastie 2011 vor einem Sturz durch die schiitische Bevölkerungsmehrheit stand. Die Emirate wie Kuwait sind den Saudis bis jetzt nur mit einer Einschränkung ihrer diplomatischen Kontakte zu Teheran entgegengekommen.

Vor diesem Hintergrund könnte der Kooperationsrat wieder eine ursprüngliche Rolle erfüllen, indem er hilft, in politisch angespannten Zeiten, Zerwürfnisse der Golf-Potentaten „nach innen“ auszubalancieren. Wahrscheinlich ist aber ein Bedeutungsverlust der Allianz. Der aktuelle harsche Vorstoß Saudi-Arabiens gegen den Iran über die Hinrichtung eines schiitischen Geistlichen richtet sich nicht nur gegen Teheran. Das Haus Saud verfolgt offensichtlich das Kalkül, im Sinne eines „Jetzt-müsst-Ihr-Farbe-bekennen“, seine Führungsrolle über die übrigen Golf-Länder zu erneuern und zu festigen. Mit dieser Strategie eines erzwungenen anstatt eines ausgehandelten Konsens im Rahmen der Golf-Monarchien, unterläuft die GKR-Führungsmacht tradierte Muster der Politikgestaltung mit seinen Partnern. Seit einigen Jahren versucht Saudi-Arabien, sich mit einer aggressiven Außenpolitik – siehe Eingreifen in Syrien und im Jemen, Aufbau Eingreiftruppe Arabische Liga – als regionale Vormacht dominant durchzusetzen. Nun richtet Riad diese Dominanz-Strategie auch auf seine traditionellen Verbündeten – ein riskantes Vabanque-Spiel. In ein  eindeutiges Prinzipal-Klientelverhältnis werden sich die übrigen Golf-Herrscher kaum dauerhaft zwingen lassen. Deren wahrscheinliche Reaktion wird der Versuch sein, ihre Bündnissysteme zu diversifizieren. Statt seine regionale Handlungsbasis als Vormacht am Golf zu stärken, wird Saudi-Arabien diese mit seiner aktuellen Politik eher unterminieren.