Im Jahr 2002 gründeten die Staaten Afrikas die Afrikanische Union. Das erklärte Ziel: Über den Staatenverbund soll eine so genannte supranationale Sicherheitsarchitektur aufgebaut werden, um den krisengeschüttelten Kontinent zu stabilisieren. Supranational heißt: Die Nationalstaaten Afrikas billigen der Afrikanischen Union zu, als überstaatliche Organisation, in ihre Sicherheitsbelange einzugreifen. So gibt die Gründungsakte der Union dieser das Recht, bei Völkermord in einem Mitgliedsland, dort zu intervenieren, per Mehrheitsbescheid von zwei Drittel der AU-Mitglieder. Ein wichtiges Instrument dieses Vorhabens ist eine Eingreiftruppe, die sogenannte African Standby Force, kurz ASF.
Eigentlich sollte dieser Verband schon 2010 einsatzbereit sein. Doch daraus wurde nichts. Die Zeitvorgabe war zu optimistisch. Nun soll die Eingreiftruppe Ende des Jahres voll einsatzbereit sein. Die Verzögerungen sind zum Teil auch auf das ehrgeizige Konzept für diese Truppe zurückzuführen. Denn die African Standby Force unterscheidet sich gleich in mehreren Punkten von klassischen Interventionstruppen wie beispielsweise dem NATO-Eingreifverband.
Katharina Döring, die sich an der Universität Leipzig schon seit langem mit der geplanten afrikanischen Truppe beschäftigt:
„Die ASF besteht aus militärisch, polizeilich und zivilen Komponenten. Und auf der anderen Seite gibt es eine Unterteilung auf verschiedene regionale Brigaden hin. Das heißt, Norden, Süden, Westen, Osten und Zentralafrika.“
Der afrikanische Eingreifverband soll am Ende aus insgesamt fünf in verschiedenen Regionen permanent stationierten Brigaden mit jeweils 5000 Soldaten bestehen. Zu jeder dieser Brigade gehört auch eine größere Zahl von Militärbeobachtern, ein Polizei-Kontingent und eines aus zivilen Krisenexperten. Als Truppensteller dieser fünf Großverbände sind jeweils die Mitgliedsländer der Regionalorganisationen vor Ort vorgesehen. Ein Beipsiel wäre Nigeria als Mitglied derWestafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft, bekannt unter dem Kürzel ECOWAS. Den Oberbefehl über die regionalen Eingreif-Brigaden soll aber bei einem kontinentalen Oberkommando im äthiopischen Addis Abeba liegen, dem Hauptsitz der Afrikanischen Union. Es gibt bereits konkrete Vorstellungen, wann die African Standby Forces eingesetzt werden sollen. Die Szenarien reichen von einer Entsendung von Militär-Beobachtern im Krisenfall bis hin zum massiven militärischen Eingreifen innerhalb von 14 Tagen bei Völkermord.
Das Vorhaben ist also sehr ambitioniert. In des Praxis kämpfen die Brigaden der Eingreifverbandes allerdings mit immensen Schwierigkeiten. Die Afrika-Expertin Katharina Döring sieht gleich mehrere Problembereiche:
„Am Schwierigsten ist es, die ASF mit Material auszustatten, das adäquat ist für die Einsätze. Das gröbste Problem sind die Luftfracht und die Luftverlastungskapazitäten, da kaum vor Ort vorhanden. Ansonsten ist das Training nach wie vor rudimentär und muss noch ausgeweitet werden.“
Hauptursache für die Schwierigkeiten beim Aufbau der African Standby Force ist das massive Finanzproblem der Afrikanische Union. Sebastian Gräfe, Experte für Krisenprävention bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in Berlin verweist darauf, dass die Afrikaner allein nicht in der Lage sind, den Eingreifverband zu finanzieren:
„Es ist so, dass 90 Prozent der Mittel der AU von externen Ressourcen kommen, sprich von der EU, von den USA oder von der UN – 30 Millionen Euro in den letzten fünf Jahren allein von deutscher Seite. Es sind knapp zwei Milliarden EU-Mittel in den letzten zehn Jahren.“
Dabei gibt es durchaus Vorschläge, weiß die Afrika-Expertin Katharina Döring:
„Es wird immer mal wieder über eine Luftfahrgaststeuer für den afrikanischen Raum gesprochen, so dass eben Flüge innerhalb Afrikas mit einer bestimmten Steuer besetzt werden, die dann dem AU-Budget zu Gute kommt. Aber nach wie vor, kommt das meiste Geld von außerhalb Afrikas.“
Experten kritisieren zudem, dass ein Großteil der externen Gelder dazu dient, die Friedensmissionen der Afrikanischen Union zu finanzieren. So werden die Mittel zum Beispiel genutzt, um in Somalia den AU-Soldaten den Sold zu zahlen. Für den substanziellen Aufbau von Instrumenten zur Konfliktbewältigung, wie der afrikanischen Eingreiftruppe bleibt vor diesem Hintergrund nicht genügend Geld übrig. Das zeigt: Bei der AU und ihren westlichen Partnern gibt es keine konsistente Strategie für den . Aufbau der African Standby Force. Es werden lediglich einzelne Projekte gefördert, mit der Hoffnung, dass kleine Fortschritte in Teilbereichen in ein funktionsfähiges Ganzes münden.
Der Eingreifverband ist als Instrument des Krisenmanagements der Afrikanischen Union angelegt – mit ständig bereitstehenden Truppen sowie einem eigenen logistischen Netzwerk. Laut Vertrag der Afrikanischen Union wäre ein Einsatz der Standby Force nach einem Beschuss der AU-Generalversammlung mit Zweidrittel-Mehrheit möglich. In der politischen Realität des Krisenmanagements in Afrika hat dieser überregionale Ansatz in der Vergangenheit aber nie eine Rolle gespielt. Die bisherigen Missionen der Afrikanischen Union sind stets nur auf Ad hoc Basis zusammengekommen, je nach Interessenlage der AU-Mitgliedstaaten. Ein Beispiel ist die Task-Force gegen die Terrororganisation Boko Haram in Nigeria. Sebastian Gräfe von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik:
„Jetzt ist diese Multi-National-Taskforce unter dem Hut einer nie gehörten Lake Chad Basin Initiative. Hier in diesem Fall ist es so, dass diese Organisation keinerlei große Macht hat. Und insofern war es für Nigeria akzeptabel, diese regionale Organisation mit der Koordinierung der Multi-National-Taskforce gegen Boko Harram zu beauftragen.“
Vermutlich ja. Für Sebastian Gräfe wird mit dem Konzept permanent bereitstehender Krisenreaktionskräfte in Afrika jedenfalls ein unrealistisches Projekt verfolgt:
„Wenn wir die letzten zehn/fünfzehn Jahre den Afrikanern gesagt haben, stehende Krisenreaktionskräfte sind etwas sinnvolles; ist es jetzt, glaube ich, ein guter Zeitpunkt einzugestehen, Ad-hoc-Kräfte sind wahrscheinlich besser. Wir erleben es mit unseren EU-Battle-Groups, die bisher kein einziges Mal eingesetzt wurden.“
Die Leipziger Afrika-Expertin Katharina Döring ist dagegen nicht ganz so skeptisch. Sie sieht durchaus Erfolge beim bisherigen Aufbau der African Standby Force ASF:
„Man darf allerdings nicht vergessen, dass bereits Komponenten der ASF, wie zum Beispiel die polizeiliche Komponente, einsatzfähig sind und auch in einer Friedensmission in Somalia, in der AMISON zum Beispiel schon Einsatz finden. Also die Dinge, die schon funktionieren, werden auch, bei den momentan ad hoc geplanten Missionen bereits übernommen. Und auch das Training für die verschiedenen Einheiten der ASF baut Kapazitäten auf, die dann auch, sei es für ad-hoc Missionen, genutzt werden können.“
Die Idee, Krisenreaktionskräfte aufzubauen, die einen Militärverband mit Polizei und Zivilkomponenten vernetzen, ist innovativ. Dieser Ansatz ist allerdings zu ambitioniert für die Rahmenbedingungen in Afrika. Zum einen fehlt eine sichere Finanzierung durch eigene Mittel der AU. Zum anderen wird ein Einsatz der African Standby Force stets am Machtkalkül der afrikanischen Regionalmächte abhängig sein. Denn ohne Staaten wie Nigeria ist beispielweise der Aufbau einer Eingreifbrigade in Westafrika undenkbar. Kommt es aber zum akuten Krisenfall, streben diese Staaten bevorzugt Ad-hoc Allianzen an. Man möchte verhindern, die AU-Strukturen zu stärken, wenn dies auf Kosten des eigenen Machteinflusses geht. Es spricht daher vieles dafür, dass der angestrebte afrikanische Eingreifverband vermutlich niemals zum Einsatz kommen wird.
Den Beitrag in der Hörfunkversion gibt es bei „streitkräfte & strategien“ auf NDR-Info.
Ergänzung:
Ein Aspekt der im Kontext Eingreiftruppe der AU relevant ist, aber im vorherigen Beitrag keine Erwähnung fand – Gerade für kleine afrikanische Länder ist die Beteiligung an AU-Missionen eine Strategie, um außenpolitisches Renomee zu erlangen und, über die internationalen Gelder für solche Unternehmungen, ihre Streitkräfte auf einem Niveau zu unterhalten, das ihnen sonst nicht möglich wäre. Wie massiv ein solches Kalkül die Sicherheitspolitik eines afrikanischen Staates bestimmen kann, zeigt diese hervorragende Analyse des Beispiels Burundi aus der New York Times.