Landkrieg 2040: Der französische Ausblick

Frankreichs Heer hat ein Thesenpapier „Action Aéroterrestre Future AAF“ („Zukünftige Luft- und Landoperationen“) herausgebracht. Es erfasst vor allem die Lehren aus der Kriegsführung in der Ukraine, aus Sicht der französischen Militärplaner. Erarbeitet hat es das Commandement du Combat Futur, ein 2023 geschaffenes Doktrinzentrum, das für die die Landstreitkräfte die Kampfweise der Zukunft entwickeln soll. Das AAF beschreibt wichtige Faktoren für eine erfolgreiche Kriegsführung im Jahr 2040.

Das neue Manöver

Ein zentrales Novum zeigt bereits der Name des Thesenpapiers. Das Vorgängerpapier von 2016 trug den Titel „Action Terrestre Futur ATF“. Es bezog sich noch ganz auf die Dimension Land. Aus Sicht der französischen Militärs wird der bodennahe Luftraum entscheidend für wirksame Landmanöver. Drohnenoperationen im bodennahen Luftraum ersetzen nicht nur Landoperationen; sie werden zu einem eigenständigen Manöver, das jenes am Boden permanent ergänzt. „Drohnensysteme, auch autonome, werden synchronisiert, aber unabhängig vom Bodenmanöver vollwertige Manöver durchführen; darunter Aufklärung, Fernbeschuss, Störmanöver, Deckung und Unterstützung.“ Auch wird es eine tiefe Integration privater Unternehmen bis in den Frontraum geben, um die benötigten Massen an Robotik und Drohnen-Technologie zum Einsatz bringen zu können. „Kritische Fähigkeiten wie Drohnen, Satelliten, KI und Logistiksysteme werden überwiegend von privaten Unternehmen entwickelt und betrieben“, heißt es im AAF. Zum Vergleich: Die enge Einbindung der Privatwirtschaft in Militäroperationen wird zwar auch bei der Bundeswehr für nötig erachtet; die Tiefe bis an die Front aber noch weitgehend abgelehnt. Auch in der Struktur westlicher Armeen kommen starke Veränderungen, so die französische Einschätzung: Großverbände werden mit immer kleineren Kampfeinheiten hinterlegt. Das verbessert ihre Überlebensfähigkeit gegen Aufklärung auf dem gläsernen Gefechtsfeld. Für Masse und Kampfkraft werden die kleinen Kampfeinheiten mit Robotik und Drohnen unterfüttert.

Fragwürdige nukleare Abschreckung

„Luft-Land-Operationen werden mehr denn je im Schatten der nuklearen Abschreckung durchgeführt werden“, heißt es im Thesenpapier lapidar. Nuklearmächte versuchen künftig verstärkt, mit ihrer nuklearen Rhetorik konventionelle Konflikte zu beeinflussen. Eine offensichtliche Ableitung auf das Vorgehen Russlands im Ukraine-Krieg. Die französischen Militärs dürften  mit Ernüchterung verfolgt haben, dass die Ukraine einen militärischen Vorstoß auf das Territorium der Russlands unternahm, ohne sich von dessen nuklearer Bewaffnung abschrecken zu lassen. Frankreich begründete seine schlanken konventionellen Streitkräfte bis dato mit einer Flankierung durch seine nuklearen Bewaffnung.  

Zentraler Faktor Klimawandel

Der Klimawandel, im AAF als „ökologische Krise“ bezeichnet, wird ein prägender Faktor für das Militär in den 2040er-Jahren. Die Franzosen bewerten den Klimawandel als massiven Konfliktreiber, u. a. bei Anbauflächen, Wasserressourcen und Migration. Besonders interessant: Laut dem Thesenpapier müssen „massive Investitionen“ in erneuerbare Energien erfolgen. Die Neukonfiguration der globalen Energieversorgung weg von fossilen Energieträgern sei in vollem Gange. Staaten, die sich nicht konsequent von Öl und Gas weg diversifizieren, droht ab 2030 eine „Energiemauer“. Dass westliche Streitkräfte den Klimawandel zunehmend als operativen Faktor ernst nehmen, ist nicht neu. Allerdings ist es besonders erwähnenswert, angesichts der Rolle rückwärts der US-Streitkräfte. Die neue US-Sicherheitsstrategie leugnet den Klimawandel explizit. US-Verteidigungsminister Pete Hegseth wird nicht müde, eine Befassung mit dem Klimawandel als Ablenkung von militärischen Kernaufgaben zu brandmarken.  

Die Schwächung der Rolle des Menschen im Krieg

Laut dem Thesenpapier „Action Aéroterrestre Future“ kommt ein „Trend zur Schwächung der Rolle des Menschen beim Einsatz von Gewalt“. Ein Grund dafür ist die stetige Ausweitung von Robotik in den Armeen. Dies sei unumkehrbar. Die Überalterung westlicher Gesellschaften sorgt für eine immer fragilere Rekrutierungsbasis und zwingt dazu, Masse und Abnutzung auf Maschinen zu verlagern. Mit Blick auf 2040 wird bereits von potenziellen „Roboterkriegen“ gesprochen, die Gegner Frankreichs dessen Heer aufzwingen könnten. Der zweite Treiber der menschlichen Entmündigung im Krieg ist eine immer intensivere Nutzung von KI, um bei der Beschleunigung der Kill Chain mit Aufklärung und Bekämpfung nicht zurückzufallen. „Diese Automatisierung des Kämpfens ist noch nicht klar umrissen. Es wird jedoch in einem menschlichen Umfeld stattfinden, indem menschliche Interaktion zwar weiterhin notwendig sein wird, aber mit Verfälschungen, was zu einem Risiko des Sinnesverlusts bei der Anwendung von Gewalt führt.“

Technologische Nivellierung

In den Machtkämpfen um eine neue internationale Ordnung besteht ein substanzielles Risiko, so die französischen Militärplaner, dass Europa in allen tradierten Machtbereichen – Wirtschaft Finanzen, Demografie und Technologie – den Anschluss verliert. Es drohe nicht nur ein Ende der westlichen Vorherrschaft, sondern auch eine Umkehrung der strategischen Kräfteverhältnisse, indem ein Lager um China und Russland die Oberhand gewinne. Generell führt die rasche Verbreitung von Spitzentechnologien dazu, dass 2040 die operative Überlegenheit des Westens ausgehöhlt sein wird. Das ist eine besondere Herausforderung für die westlichen Streitkräfte. „Diese haben ihr Machtmodell auf der Grundlage intrinsischer technologischer Überlegenheit entwickelt.“ Hinzu kommt die das die hohe Vernetzung der Bodenoperationen auch deren Störung erleichtert, beispielsweise durch eine Unterbindung der Satelliten-Kommunikation. Für Frankreichs Heer wird es wichtig, den Kampf in einem „degradierten Modus“ führen zu können und dies auch umfassend zu trainieren.

Die besondere Achillesferse: Elektrische Energie

Die hohe Vernetzung und eine „robotergestützte Streitmacht“ machen es notwendig, den Operationsraum massiv mit elektrischer Energie zu versorgen. Deren Bedarf steigt exponentiell, da immer mehr Waffensysteme mit elektrischer Energie betrieben werden – Roboter, Drohnen, elektrische Fahrzeuge, fortschreitende Computerisierung. „Die Abhängigkeit von anfälligen und leicht zu ortenden Energieversorgungsnetzen ist eine Schwachstelle“. Bisher fehlen dafür belastbare Lösungen. 

Fehlende Masse über Koalitionen

Neben der Robotisierung werden Streitkräfteverbünde immer wichtiger, um die nötige Kampfkraft für die hochintensive Kriegsführung zu gewinnen. Für Frankreich sei es somit entscheiden, als glaubwürdige Rahmennation aufzutreten, die starke Landstreitkräfte unterhält, um für kleinere Partner attraktiv und glaubwürdig zu sein. Als Beispiel wird die CAMO-Partnerschaft („Le Partenariat Capacité Motorisée“/“Partnerschaft motorisierte Kapazität“) mit Belgien genannt. Bei dieser rüstet sich Belgiens Heer mit derselben Fahrzeugfamilie des Scorpion-Programms wie das französische Heer. Allerdings ist dieses Rüstungsprogramm stark umstritten, da es noch für Interventionseinsätze entworfen wurde, nicht das hochintensive Gefecht. Es gibt in Europas Militärs und Fachkreisen eine Debatte, ob die Ertüchtigung von Frankreichs Heer dem Anspruch einer Rahmenarmee für die NATO gerecht wird. Zum Beispiel mit Blick auf die Erneuerung der Panzerwaffe (Siehe hierzu die diese Analyse des LOYAL-Magazins).

Mehr Ausdauer: Cyborgs kommen

Die Tödlichkeit des Schlachtfeldes nimmt durch das gläserne Gefechtsfeld stetig zu. Die Ressource Mensch wird durch die Überalterung westlicher Gesellschaften immer begrenzter für das Militär. Deshalb muss die knappe Ressource Soldat optimiert werden, vor allem bei der Ausdauer. Aus Sicht der französischen Militärplaner sind das neben Exoskeletten auch „individuelle medizinisch-physiologische Sensoren“. Das heißt, es geht um implantierte Sensoren, die Daten über die Biofunktionen des Soldaten liefern. Das wäre noch kein „Bio-Enhancement“ mittels chemischer Substanzen, aber bereits ein Eintritt in die Schaffung von Cybernetic Organisms aka Cyborgs. Auch die Bundeswehr denkt bereits in diese Richtung. Der Generalstabslehrgang 2020 befasste sich in seiner Studienarbeit mit dem Thema „Krieg der Zukunft?!“. Darin heißt es: „Vor dem Hintergrund der zunehmenden Komplexität und Geschwindigkeit auf dem Gefechtsfeld, der steigenden Ansprüche an zukünftige Entscheidungsträger, dem steigenden Spezialisierungsgrad sowie den Herausforderungen der demografischen Entwicklung, werden zukünftig Human Performance Optimisation (HPO) Maßnahmen zum Ausschöpfen des individuellen biologischen Potenzials notwendig. Kurz: Der Mensch muss bis an seine biologische Leistungsgrenze und gegebenenfalls darüber hinausgeführt werden.“ Als HPE-Maßnahmen betrachten die deutschen Militärplaner „Medikamente, Exoskelette, Implantate, Brain-Machine Interfaces“.

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