NATO-Aufrüstung: Frankreich ist schlecht vorbereitet

Frankreichs Verteidigungsminister Sebastien Lecornu (vorderste Reihe, zweiter von links) bei einem Besuch der Produktion des deutsch-französischen Rüstungsunternehmens KNDS in Roanne, Region Auvergne-Rhône-Alpes, im Juni dieses Jahres. Foto: Verteidigungsministerium Frankreich

Frankreichs öffentliches Finanzinstitut Caisse des Dépôts hat eine Analyse erstellen lassen, inwieweit die Wirtschaft des Landes auf die NATO-Aufrüstung eingestellt ist. Die bereits 1816 gegründete Caisse des Dépôts ist das zentrale Werkzeug des französischen Staates zur Wirtschaftsförderung. Sie ist unter anderem Marktführer bei der Finanzierung des sozialen Wohnungsbaus und wichtiger Investor für die regionale Wirtschaft.

Potenziale der NATO-Rüstung für Frankreichs Wehrindustrie

Die Untersuchung „Les dividendes du réarmement“ sieht ein potenzielles zusätzliches Marktvolumen pro Jahr von 30 bis 45 Milliarden Euro für Frankreichs Wehrindustrie bis 2035; allein durch die Aufrüstung der NATO-Staaten. Dessen Ausschöpfung könnte im selben Zeitraum 570.000 bis 800.000 neue Arbeitsplätze entstehen lassen. Allerdings sei Frankreichs Wirtschaft dafür schlecht aufgestellt. Die Analysten der Caisse des Dépôts: „Weder Frankreichs industrielle Kapazitäten noch seine Ausbildungsinfrastruktur sind auf einen Sprung dieser Größenordnung ausgerichtet.“

Die Probleme der französischen Wehrindustrie

Die bestehenden Produktionskapazitäten zur Rüstung seien bereits zu 91 Prozent ausgelastet – „zehn Prozent mehr als im Durchschnitt der französischen Fertigungsindustrie“. Auch hätten insbesondere die Unternehmen der Wehrwirtschaft mit Lieferengpässen zu kämpfen; mit 31 Prozent doppelt so viele wie in der übrigen Industrie. Im Jahr 2020 klagten bereits 40 Prozent der Rüstungsunternehmen über Schwierigkeiten, genügend Personal zu finden; inzwischen sind es 50 Prozent. Um Produktionskapazitäten und Arbeitskräfte besser mobilisieren zu können, sollten Frankreichs Wehrunternehmen verstärkt duale Profile entwickeln, lautet die Empfehlung in der Analyse. Das heißt, volumenstärkere zivile Märkte bedienen und sich mit stabilen und margenstarken öffentlichen Aufträgen verbinden. Ferner sei die Wehrindustrie zu stark auf „reife“ Rüstungsmärkte wie Deutschland und Großbritannien ausgerichtet. Es gelte andere, „weniger gesättigte“ Regionen zu erkunden; Beispiele werden hierfür nicht genannt. Generelle müsse die französische Wehrindustrie europäisch integriert werden, um sich zu behaupten. Die kleinen und mittelständischen Unternehmen sollen nicht mehr national, sondern europäisch über starke Wehrkonzerne integriert werden. Als ein gelungenes Beispiel wird der Zusammenschluss von Nexter mit KMW zu KNDS genannt. 

Die drei Regionen mit der stärksten Wehrindustrie Frankreichs

„Es geht hier nicht nur darum, den amerikanischen und chinesischen Giganten die Stirn zu bieten, sondern auch auf das rasche Aufkommen besonders dynamischer Marktteilnehmer zu reagieren wie Südkorea und der Türkei“, heißt es in der Analyse. Diese liefert auch eine Übersicht zur Ausprägung der Rüstungsbranche in Frankreichs Regionen mit Vorteilen und Hemmnissen wie verfügbaren Flächen für Produktionsstandorte. Die drei Regionen mit der stärksten Wehrindustrie sind die Bretagne, ganz im Westen, sowie Auvergne-Rhône-Alpes und Provence-Alpes-Côte d’Azur im Südwesten Frankreichs. Die drei Regionen mit dem höchsten Potenzial für einen Ausbau der Wehrindustrie sind Nouvelle-Aquitaine, Pays de la Loire und die Normandie.

Fünf Hebel für die französische Rüstung

Um das industrielle Potenzial durch die verstärkte NATO-Rüstung zu nutzen, skizziert die Caisse des Dépôts fünf Hebel für Frankreich. Erstens: Ein dem zivilen Reindustrialisierungsprogramm für die Regionen „Territoires d’industrie“ nachempfundenes Programm zur Wehrindustrie. Zweitens: In den Regionen mit dem höchsten Potenzial für die Wehrindustrie sollen „Verteidigungscluster“ aufgebaut werden; unter anderem durch rasch nutzbare Grundstücke für die Industrie und „Mechanismen“ zur Vernetzung von KMUs, Hochschulen und Verteidigungsministerium. Der dritte Hebel: Die Finanzierungsinstrumente, unter anderem der staatlichen Förderbank Bpifrance, sollen dabei helfen, Unternehmen, die über eine starke eigene Dynamik verfügen, zusätzliche Mittel zu verschaffen, sodass sie andere Firmen integrieren können. „Das Ziel besteht weniger darin, den Wettbewerb zu fördern, als vielmehr das Erreichen einer kritischen Größe zu stimulieren.“ Viertens empfiehlt die Analyse bei KMUs ein duales zivil-militärisches Produktportfolio zu fördern. Fünftens: Der Staat müsse weiter prüfen, wo die Rückverlagerung strategischer Produktion mit hohen Volumen und geringem Stückwert wie Munition möglich und sinnvoll sei. Dafür seien mehrjährige Abnahmeverträge für die Industrie wichtig.

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