Richtungskampf im Reservistenverband

„Neuausrichtung“ – mit diesem Schlagwort bewirbt der Reservistenverband seine Agenda seit der letzten Delegiertenversammlung Ende 2015. Nichts könnte falscher sein. In Wirklichkeit ist der Verband gespalten und auf „Richtungssuche“ – bei der essenziellen Grundsatzfrage für den Wehrverband „Pflicht- oder Freiwilligendienst befürworten“ gibt es keinen Konsens. Das zeigt ein kruder Doppelbeschluss auf der Delegiertenversammlung: Die Verbandsmitglieder votierten mit Mehrheit, sich Pro-Dienstpflicht zu positionieren und beauftragten zugleich eine Studie, die prüfen soll, inwieweit diese Position überhaupt rechtlich durchsetzbar ist und konzeptionell Sinn macht. Der Hintergrund dazu:

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Tradition ist Trumpf bei der Reserve: Hauptfeldwebel des Heimatschutzbataillons 56 mit Traditionsfahne im Jahr 1990 – Foto: New York Public Library / Wikipedia / gemeinfrei

Im Verband stehen sich zwei Lager gegenüber. Die Traditionalisten, angeführt von der NRW-Sektion der Reserve, hätten am Liebsten die Wehrpflicht wieder. In den offiziellen Pressemitteilungen des Verbandes ist immer von einem allgemeinen Dienstpflichtjahr die Rede, das junge Frauen und Männer gleichermaßen betreffen würde. Im Original lautet der Verbandsbeschluss aber: Die Reserve fordert eine Beendigung der Aussetzung der Wehrpflicht – hilfsweise eine allgemeine Dienstpflicht. Für ein Lager um den Verbandspräsidenten Roderich Kiesewetter ist die Position Pro-Wehrpflicht keine, mit der sich in der Gesellschaft punkten lässt bzw. die politisch durchsetzbar wäre. Diese Gruppe hält es für realistischer, Vater Staat dazu zubewegen, die Freiwilligendienste auszubauen und davon die Reserve mittelbar profitieren zu lassen. Als CDU-Bundestagsabgeordneter hat Kiesewetter ein eigenes Konzept entwickelt. Dessen Name: „Freiwilligen Gesellschaftsdienst“. Das setzt auf den Ausbau der Freiwilligendienste, nicht auf Pflichtdienste. In der CDU ist Kiesewetters Konzept inzwischen Parteilinie; den Reservistenverband konnte er noch nicht überzeugen.

Der Kompromiss auf der Delegiertenversammlung: Die Traditionalisten setzten die Forderung nach einer Dienstpflicht durch; Kieswetter trägt diesen Beschluss mit, bekam dafür eine Prüfstudie. Diese soll demnächst beauftragt werden. Mit dem Ergebnis rechnet der Verband zu Beginn der nächsten Legislaturperiode. Kiesewetter dazu gegenüber dem Autor: „Aus meiner Sicht, das ist aber meine persönliche Auffassung, ist es sinnvoller auf Freiwilligkeit zu bauen. Ich nehme auch an, dass die Studie, die wir in Auftrag geben, auch diese Aspekte – in einer Ehrenamtsgesellschaft auf Freiwilligkeit zu bauen – hervorheben wird.“ Der Verbandspräsident hofft also, mittels der Studie, seine Schlappe auf der Delegiertenversammlung zu kontern. Die Prüfstudie soll ihm Munition liefern, um die Position Pro-Freiwilligendienst doch noch durchzusetzen.

Zum Sinn / Unsinn eine Dienstpflicht einzuführen, mein aktueller Beitrag auf NDR-Info / „streitkräfte & strategien“.