Frankreichs Krieg gegen den IS – Offenbarungseid einer Militärmacht

Die Terroranschläge in Paris zeigen Frankreich als gescheiterte Militärmacht. Der Anspruch, militärisch eine eigenständige Großmacht zu sein, ist nicht mehr haltbar. Vier Maßnahmen, die Präsident Francoise Hollande in seiner Rede vor dem Kongress ankündigte, machen das deutlich:

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Die französischen Streitkräfte wirken im Kampf gegen den IS irgendwie verloren – Foto: Archangel 12 / CC Lizenz / Flickr

  1. Die EU-Länder sollen nach Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages um militärischen Beistand gebeten werden (inzwischen geschehen)
  2. Die Stellenkürzungen im Zuge der laufenden Streitkräftereform werden bis 2019 ausgesetzt.
  3. Ausbau des militärischen Nachrichtenwesens, besonders im Cyber-Bereich.
  4. Aufwertung und Ausbau der Armee-Reserve; es soll eine „Nationalgarde“ aufgebaut werden.

Diese Maßnahmen sind eine Abkehr von der erst 2013 erlassenen Sicherheitsdoktrin des Landes, die zwei Hauptziele verfolgte. Erstens: Frankreichs will weiterhin europäische Militärmacht ersten Ranges sein, mit der Fähigkeit zur selbstständigen Machtprojektion in der europäischen Peripherie. Zweitens: Dies soll eine verkleinerte Streitmacht leisten, deren Budget sich langfristig solide finanzieren lässt.

Mit seinem Beistandsgesuch an die EU-Partner gesteht Frankreich de facto ein, dass es, aus eigener Kraft, zu einem substanziellen militärischen Vorgehen gegen den IS, nicht in der Lage ist. Ausgesetzter Stellenabbau und Ausbau der Aufklärungsfähigkeiten bedeuten das Abrücken vom Konsolidierungsziel für den Verteidigungshaushalt, dem zweiten wichtigen Vorhaben in der Sicherheitsdoktrin von 2013. Hinter dem Plan eine Nationalgarde aufzubauen, steckt wohl der Versuch, das ambitionierte Streitkräfte-Modell Frankreichs von einer agilen Einsatzarmee, trotz ausgereizter Ressourcen, erhalten zu können. 

Großmacht-Militär auf Sparflamme

Zurzeit sind 88.000 Soldaten in die Multifunktionsbrigaden des Heeres eingegliedert, die für Einsätze vorgesehen sind. Das entspricht 80 Prozent der Landstreitkräfte. Bei allen Spar-Reformen der Armee seit den 1990er Jahren gilt bis heute die Prämisse: Die Streitkräfte sollen zum aktiven Eingreifen für Frankreichs geopolitische Interessen in der Lage sein. Die Truppe wurde zwar immer kleiner und hatte weniger Mittel; dafür wurde das Vorhandene an Mensch und Material konsequent auf Einsatz ausgerichtet und die direkte Heimatverteidigung zurückgestellt. Der Versuch, ein Großmacht-Militär auf Sparflamme zu betreiben, wurde kritisch, als die europäische Wirtschaftskrise ausbrach. Das französische Weißbuch von 2013 stellte den Versuch dar, beides zu vereinen – ambitionierte Militär-Konzeption mit Sparzwang zur Haushaltskonsolidierung. So sollten die Einsatz-Brigaden auf 66.000 Mann verkleinert werden, um Personalkosten zu sparen. 

Operationell ausgereizt

Die militärischen Schwachpunkte des Konzepts der totalen Einsatzarmee legten dann die Charlie-Hebdo Anschlägen des IS offen, die im Januar 2015 Paris erschütterten. Die französische Regierung sah sich plötzlich gezwungen, die direkte Landesverteidigung zu stärken und startete die Operation „Sentinelle“. Seitdem schützen 7000 Soldaten, als besonders gefährdet eingestufte Objekte, wie Synagogen. Das entspricht der Gesamtzahl von Kräften, die Frankreich zurzeit in Auslandseinsätzen hat, wie beispielsweise der Anti-Terror-Operation Barkhane in der Sahel-Zone. Unterstützt wird das „Sentinelle“-Kontingent durch 3000 Mann von Luftwaffe und Marine, Kostenpunkt der Operation: eine Million Euro pro Tag. Und „Sentinelle“ wird nach den jüngsten Anschlägen des Islamischen Staates um weitere 3000 Mann Soldaten aufgestockt. Damit werden mehr französische Soldaten im Heimatschutz eingesetzt als bei den internationalen Operationen. Beachtet man, dass die in Frankreich wie im Ausland verwendeten Einheiten, nicht mehr trainieren können und für sie Verstärkung wie Ablösung vorhanden sein muss, zeigt sich, dass die französischen Streitkräfte operationell ausgereizt sind.

Offenbarungseid

Der IS hat die Einseitigkeit der französischen Militärstrategie geschickt ausgenutzt. Mit den Anschlägen in Frankreich, haben die Dschihadisten dem Gegner ihr Heft des Handelns aufgezwungen und der Grande Nation einen Offenbarungseid abgenötigt. Der IS bestimmt, wo Frankreich seine Kräfte einsetzt, nämlich im nun bedrohten Kernland. Zu ernsthaften Gegenoperationen, ist die vermeintlich schlagkräftige Einsatzarmee dafür nicht in der Lage. Das Konzept ist zu sehr auf Kante genäht, wie sich auf ernüchternde Art und Weise zeigte. Schon nach den Charlie-Hebdo Attacken begrenzte Präsident Hollande die Stellenstreichung bei den Einsatzbrigaden auf 77.000 Mann, statt auf die, bis 2019 vorgesehenen 66.000 (siehe oben). Dass die Verringerung jetzt ausgesetzt, aber nicht aufgehoben wurde, weißt daraufhin, dass weiterhin gilt: Der französische Staat kann sich seine ambitionierte Militärpolitik nicht mehr leisten. Dass der Aufbau einer Nationalgarde für die Heimatfront eine Entlastung schafft, um das Konzept Einsatzarmee weiter zu betreiben, ist kaum glaubhaft. Schließlich versucht Frankreich mit einem Wehrbudget, das ungefähr die Höhe des deutschen besitzt, noch sein nukleares Abschreckungspotenzial sowie die größte Kriegsflotte in der EU zu unterhalten. 

Ausblick auf Frankreichs Anti-IS-Kampf

Frankreichs Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian hat inzwischen deutlicher gemacht, was er von den EU-Partnern erwartet. Entweder eine Unterstützung bei Frankreichs Anti-IS-Kampagne in Syrien und im Irak oder eine Entlastung Frankreichs bei dessen laufenden Missionen, beispielsweise durch Unterstützung beim Truppen-Transport.

Deutschland hat sich für die zweite Variante entschieden. An Luftschlägen gegen den IS wird sich Deutschland nicht beteiligen, machte Außenminister Frank-Walter Steinmeier deutlich. Die Bundesrepublik will ihr bereits länger geplantes Engagement bei der VN-Stabilisierungsmission in Mali als Rückendeckung für Frankreichs Anti-IS-Kampf verstanden wissen. Damit Frankreich das akzeptiert, werden die Deutschen sich wohl stärker einbringen müssen als geplant, so meine Einschätzung. Die Verhandlungen dazu haben bereits begonnen.

Die Unterstützung der anderen Europäer soll Frankreich helfen, seine Einsatzarmee zu entlasten. Der Anspruch von Paris wird es sein, als substanzieller Truppensteller, in der geplanten Militär-Allianz gegen den IS, aufzutreten. Doch ein solches Bündnis ist eher mittelfristig denkbar; die diplomatischen Bemühungen dazu, haben erst begonnen.

Kurzfristig bleibt Frankreich nur das Mittel Luftangriffe. Diese sind aber kaum effektiv gegen den IS, wie die bisherige Bombenkampagne, der USA geführte Anti-IS-Koaltion, gezeigt hat. Zudem gilt auch hier, dass Frankreich kaum in der Lage ist, den IS intensiv zu bekämpfen. Seine Luftwaffen-Kontingente auf den Basen der Partner Jordanien und den Vereinigten Arabischen Emiraten sind überschaubar. Ob beide Länder zustimmen, von dort dauerhaft massiver gegen den IS vorzugehen, ist fraglich. Beide Staaten beteiligen sich eher verhalten an der Anti-IS-Kampagne der USA. Vor allem Jordanien fürchtet eine Destabilisierung durch IS-Aktionen, auf Grund der gespannten Gesellschaftsverhältnisse im eigenen Land.

Der Flugzeugträger Charles de Gaulle ermöglicht es den Franzosen zwar, kurzfristig mehr Maschinen einzusetzen. Allerdings sind Träger, die wartungsintensivsten Überwassereinheiten überhaupt. Wenn der Träger de Gaulle abgezogen werden muss, haben die Franzosen keinen zweiten, um ihn zu ersetzen. Eine Ergänzungsoption zu den Luftangriffen wäre noch der Einsatz von Spezialkräften; der einzigen Truppengattung, die laut Weißbuch 2013 langfristig aufwachsen soll (1000 zusätzliche Kräfte sollen bis 2025 rekrutiert werden). Hier hat die französische Luftwaffe entsprechende Transport- und Tankflugzeuge, um solche Kräfte aus der Luft zum Einsatz zu bringen. 

Interessant wird, ob Frankreich seine Position bei den Drohnen für die eigenen Streitkräfte ändert. Frankreich plant, eine Flotte mit rund 30 UAVs aufzubauen. Zurzeit läuft ein Anschaffungsprogramm für Drohnen vom Typ Reaper aus den USA. Drei Reaper-Drohnen haben die Franzosen bereits. Für die UAVs des französischen Militärs gilt bis jetzt die Einsatzdoktrin: Nur Überwachung und Aufklärung, keine Tötungseinsätze. Das könnte sich nun ändern.

Zur aktuellen Militärpolitik Frankreichs: das Gesetz zur Fünfjahresplanung 2014 bis 2019