Vor-Ort-Kontrollen bei Rüstungsexporten – Placebo oder wirksames Instrument gegen illegale Weitergabe?

Deutschland gehört zu den größten Exporteuren von Waffen weltweit. Problematisch: Haben Waffen „Made in Germany“ das Käuferland erreicht, findet keine Kontrolle mehr statt, was mit den Rüstungsgütern passiert. Das soll sich nun ändern: Noch in diesem Jahr will die Bundesregierung ein Verfahren für Vor-Ort-Kontrollen bei exportierten Waffen auf den Weg bringen. Das soll so geschehen: Mitarbeiter der Deutschen Botschaften sowie des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle statten Militärstützpunkten und Waffenlagern in den Käuferländern Kontrollbesuche ab und lassen sich die deutschen Waffen vor Ort zeigen.

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Hat deutsche Leopard-Panzer: Der autoritäre Stadtstaat Singapur, nicht gerade ein Musterland in Sachen Demokratie – Foto: Limkopi / CC-Lizenz

Nach den USA und der Schweiz wäre Deutschland erst das dritte Land, das „on-the-spot“ kontrolliert (mehr dazu in diesem Beitrag), ob seine gelieferten Waffen auch so eingesetzt werden, wie mit dem Käufer vereinbart. Bis dato gibt sich die Bundesrepublik mit sogenannten Endverbleibserklärungen zufrieden; in diesen versichern die belieferten Staaten, die gekauften Waffen nicht ohne deutsche Genehmigung weiterzureichen. Aber selbst diese schwache Sicherung gilt nicht für alle: So werden zum Beispiel von NATO- und EU-Ländern solche Endverbleibserklärungen nicht gefordert.Nach mehreren Skandalen steht dieses auf Treu und Glauben basierende Prinzip bereits seit einiger Zeit in Kritik. Kürzlich zum Beispiel durch den Fall des Waffenherstellers Sig Sauer im schleswig-holsteinischen Eckernförde. Sig Sauer lieferte in den vergangenen Jahren tausende Pistolen in die USA. Von dort gelangten diese in das Bürgerkriegsland Kolumbien, als Ausrüstung für Kolumbiens Nationalpolizei. Eigentlich darf nach deutschen Standards nicht in Länder geliefert werden, in denen es gewaltsame Konflikte gibt. Aber die Vereinigten Staaten haben eine ganz andere Strategie. Sie betrachten Waffenlieferungen an Kolumbien als sinnvoll, um die dortige Staatsmacht zu stärken und damit letztlich das Land zu stabilisieren. Eine Rücksprache mit Deutschland gab es bei den Waffenlieferungen nicht; schließlich verlangt die Bundesregierung vom NATO-Partner USA auch keine Endverbleibserklärungen.

Künftig sollen die angekündigten Vor-Ort-Überprüfungen helfen, den Verbleib von Waffen besser zu kontrollieren. Das für Rüstungsexporte zuständige Bundeswirtschaftsministerium hat dazu im Sommer Eckpunkte vorgelegt, die aufzeigen, wie die Bundesregierung diese Kontrollen umsetzen will. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel spricht von einer „entscheidenden Verbesserung“. Dem widerspricht Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Linken im Bundestag. Aus seiner Sicht haben die vorgelegten Eckpunkte zwei entscheidende Schwachpunkte:

„Bei den Eckpunkten gibt es zwei ganz große Lücken. Das erste ist, dass die gesamten NATO-Staaten und EU-Staaten ausgenommen sein sollen, was für mich überhaupt nicht zu verstehen ist, wenn man sich überlegt, dass der letzte große Skandal illegaler Weitergabe von Waffen, eben gerade durch die USA erfolgt ist. Und der zweite Punkt ist ein Passus, der mich sehr beunruhigt, dass – so wörtlich – ‚die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie nicht gefährdet werden darf‘. Was heißt denn das? Soll das heißen, wenn ein Land nein sagt, wenn wir das unterschreiben müssen, kaufen wir woanders? Und dann wird auf die Endverbleibskontrolle verzichtet? Also das sind zwei ganz große Lücken, die ich kritisiere.“

Dieser Pro-Industrie-Passus in dem Eckpunktepapier lässt in der Tat an der Ernsthaftigkeit des kommenden Verfahrens zweifeln. Zudem gelten weiterhin die problematischen Ausnahmen für Länder wie die USA. In NATO-Staaten wird es keine Vor-Ort-Kontrollen geben. Dasselbe gilt für die EU und eine Reihe strategisch wichtiger Partnerländer, so die offizielle Planung. D.h. 40 Prozent der deutschen Waffenausfuhren werden von den Vor-Ort-Kontrollen nicht erfasst. Auch zu den möglichen Sanktionen, die ein festgestellter Verstoß oder ein Verweigern der Kontrolle nach sich zögen, macht das Eckpunktepapier keine Angaben. Jan Grebe, Waffenkontroll-Experte am International Center of Conversion BICC in Bonn, rechnet nicht mit konsequenten Strafen:

„Ich bin hier im Hinblick auf Deutschland skeptisch und sehe nicht, dass es hier in den meisten Fällen zu einem grundsätzlichen Exportstopp kommen würde. Das zeigen auch die Fälle aus der Vergangenheit. Man geht dann zwar behutsamer vor, man verhängt aber keine grundsätzlichen Exportstopps für viele Länder. Sondern das bleibt am Ende des Tages immer eine politische Entscheidung.“

Klare Regeln für Sanktionen wird es wohl nicht geben. Allerdings möchte die Bundesregierung für Vor-Ort-Kontrollen bei der EU werben. D.h. die EU soll alle Mitgliedsländer verpflichten, dem deutschen Beispiel zu folgen, und ebenfalls Käufer-Staaten vor Ort kontrollieren – und das nach einem gemeinsamen EU-Standard. Ein schwieriges Unterfangen, betrachten doch die meisten Staaten Rüstungspolitik als nationale Domäne. Für den Rüstungs-Experten Jan Grebe wäre ein europäisches Vorgehen und ein EU-weites System allerdings die richtige Antwort auf die aktuellen Entwicklungen auf den Rüstungsmärkten von heute:

„Man wird mit dem Problem konfrontiert sein, dass heutzutage der Rüstungsmarkt immer weiter transnational gestaltet ist. Es geht nicht immer nur noch um den Export ganzer Waffensysteme, sondern häufig auch um den Komponentenhandel. Das heißt, hier haben wir eine technische Hürde, die aus meiner Sicht dadurch zu nehmen wäre, dass Deutschland sich wirklich auch nachhaltig für die Einführung eines solchen Systems stark macht.“

Es ist der Trend unserer Zeit im Rüstungsgeschäft: Moderne Waffensysteme setzen sich heute aus vielen einzelnen Komponenten zusammen, die verschiedene Länder zugeliefert haben. Das heißt beispielsweise: ein Land liefert den Antrieb für eine Panzerabwehrrakete, ein anderes den Gefechtskopf. In diesem weltweiten Komponentenhandel spielen die EU-Länder eine wichtige Rolle. Schließlich sind in der Top-10 der größten Waffenexporteure, fünf EU Länder. Ein entscheidender Schritt gegen den Missbrauch gelieferter Waffen wäre also, dass sich alle EU-Länder auf Vor-Ort-Kontrollen in den Käuferländern von Waffen einigen. Hierfür hält der Rüstungsforscher Jan Grebe folgende deutsche Strategie für sinnvoll:

„Also hier geht es darum, Verbündete zu identifizieren, wie mittlere Exportstaaten. Zum Beispiel Österreich und Schweden. Aber auch Großbritannien, das immer wieder gezeigt hat, dass es bereit ist, Rüstungsexportpolitik restriktiver zu gestalten und sich für Veränderungen auf europäischer Ebene einzusetzen. Das heißt, hier gibt es eine Reihe von Ländern, mit denen man zusammenarbeiten könnte, um das Instrument der Vor-Ort-Inspektionen auf europäischer Ebene weiter zu etablieren.“

Der Weg hin zu einem EU-Standard für Vor-Ort-Kontrollen, den alle Länder der Union bei ihren Auslandsverkäufen anwenden, macht also Sinn. Er ist aber politisch schwierig und wäre langwierig. Dass die Bundesregierung diese Lö- sung allerdings wirklich ernsthaft anstrebt – daran darf gezweifelt werden. Denn gerade für die den Rüstungsmarkt dominierenden Waffensysteme mit zugelieferten Komponenten soll es keine Vor-Ort-Kontrollen geben. Das heißt, liefert Deutschland eine ganze Rakete, wird kontrolliert; liefert Deutschland nur den Gefechtskopf, dann wird im Käuferland nicht geprüft. Dieser offensichtlich Industrie- und exportfreundliche Charakter des kommenden Kontroll-Systems birgt zudem noch eine andere Gefahr, warnt Jan van Aken von der Linksfraktion:

„Es ist natürlich super, dass solche Endverbleibskontrollen kommen. Wenn sie richtig gemacht werden, dann können sie tatsächlich verhindern, dass Waffen illegal weitergegeben werden. Auf der anderen Seite, muss man mal abwarten, ob das nicht als Argument benutzt wird, jetzt noch mehr Waffen an kritische Staaten zu liefern, nach dem Motto: ‚Na ja, wir kontrollieren doch jetzt vor Ort, jetzt müssen wir nicht mehr ganz so genau hinschauen.‘ Da müssen wir wirklich abwarten, ob das nicht sogar ins Gegenteil verkehrt wird.“

Die Vor-Ort-Kontrollen als Flankenschutz für mehr deutsche Rüstungsexporte? Aufstrebende Schwellenländer wie Indonesien, die ihr Militär modernisieren möchten, sind die Zukunftsmärkte der deutschen Rüstungsindustrie. Gleichzeitig sind Waffenexporte oft umstritten, wenn es um die Achtung der Menschenrechte geht. So ist Indonesien bekannt für seine gewaltsame Unterdrückung von Minderheiten. Das Argument „Wir prüfen vor Ort, also können wir auch liefern,“ könnte als Beruhigungspille für Deutschlands kritische Öffentlichkeit dienen. Schließlich ist es im Interesse der deutschen Rüstungsindustrie, den Export an die Schwellenländer auszudehnen. Ob dieser Fall eintritt, ist zwar noch völlig offen. Doch die Eckpunkte zeigen schon jetzt, dass es sich bei dem kommenden System um ein sehr selektives und wirtschaftsfreundliches Verfahren handeln wird.

Von einer „entscheidenden Verbesserung“ in der Kontrolle deutscher Waffenexporte, wie Wirtschaftsminister Gabriel meint, kann somit keine Rede sein, eher von einem ersten Ansatz. Ob daraus mehr wird, hängt vor allem von zwei Dingen ab. Zum einen von dem Willen und letztlich dem Erfolg der Bundesregierung, die Entwicklung hin zu einem gesamteuropäischen Kontroll-System auf den Weg zu bringen. Dies würde dem Trend zu immer mehr multinationalen Rüstungsgeschäften entsprechen. Zum anderen muss sich zeigen, ob die Vor-Ort-Kontrollen dauerhaft weiterentwickelt werden. Denn seit Kurzem arbeitet die Bundesregierung auch an einer Strategie zur Stärkung von Schlüsseltechnologien der deutschen Rüstungsindustrie, unter anderem durch Exporterleichterungen. Gut möglich, dass dann die Vor-Ort-Kontrollen über den Verbleib von Waffenlieferungen bald ins politische Abseits geraten könnten.

Dieser Artikel erschien auch als Hörfunkbeitrag auf „streitkträfte & strategien“ von NDR-Info.