„Litauisch-Polnisch-Ukrainische“- Brigade: gefährliches Manöver in der Sicherheitspolitik?

Multi-nationale Militärverbände sind ein gängiges Werkzeug westlicher Sicherheitspolitik. Doch im ostpolnischen Lublin entsteht gerade eine Brigade, die aus dem Rahmen fällt. Dort bauen Polen, Litauen und die Ukraine den Stab für eine gemeinsame mechanisierte Infanterie-Brigade auf – 4.500 Mann sollen es werden. Haupt-Truppensteller und Antreiber des Projekts ist Polen. Zwei NATO-Staaten gründen einen militärischen Großverband mit einem Land, das sich de facto mit Russland, dem Hauptgegner der NATO, im Krieg befindet – das ist wirft Fragen auf. Welches Kalkül steckt hinter dem Projekt und wie gefährlich ist dieses Manöver polnischer Sicherheitspolitik?

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Wie machen wir’s? Bei der „Litauisch-Polnisch-Ukrainischen-Brigade“ ist noch vieles unklar – Foto: MD Ukraine / Mediaservice

Zum Hintergrund: Die „Litauisch-Polnisch-Ukrainische“-Brigade war eine Idee von Polens Ex-Verteidigungsminister Bogdan Klich, der von 2007 bis 2011 im Amt war. Damals unterhielten die Polen jeweils ein Kooperationsbataillon mit Litauern und Ukrainern. Polen wollte die Bataillone in einer Brigade zusammenführen, um die Kooperationsarbeit zu intensivieren – Ziel war es, eine Plattform für die Ukraine zu schaffen, damit sich der NATO-Anwärter besser an Peacekeeping-Missionen des Westens beteiligen kann.

Das Kalkül hinter dem Verband: Über die Brigade könnten sich Kiews Streitkräfte als engagierter Partner des Westens beweisen. Das brächte Pluspunkte beim Werben für eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Diese zu erreichen, ist ein Hauptziel der Sicherheitspolitik Polens wie auch Litauens. Beide Staaten fühlen sich von Russland bedroht, umso mehr seit der Ukraine-Konflikt militärisch eskaliert ist. Gustav Gressel, Militärexperte am European Council on Foreign Relations in Berlin, erläutert die polnische Sichtweise:

Polen hat mit Weißrussland und der Kaliningrad-Enklave schon zwei Grenzen zu Russland und zu einem russischen Alliierten. Wenn die Ukraine fällt, haben sie ein weitere große hinzu. Das heißt die Sicherheitslage des eigenen Landes würde sich logischerweise stark verschlechtern.“


2009 unterzeichneten Polen, Litauen und die Ukraine eine Absichtserklärung für den Aufbau der tri-nationalen Brigade. Danach versandete das Projekt. Die Ursache für die Verzögerung sei die unstete ukrainische Politik gewesen, mit ihren häufigen Regierungswechseln in den vergangenen Jahren, heißt es aus polnischen Sicherheitskreisen auf Nachfrage des Autors.

Die aktuelle Entwicklung: Einen neuen Impuls erhielt die Brigade durch dem „verdeckten Krieg“, welchen Kiew und Moskau seit 2014 um die Ost-Ukraine führen. Dazu der Militärexperte Gustav Gressel:

Und natürlich, mit dem Krieg in der Ost-Ukraine und der Besetzung der Krim ist jetzt der strategische Anreiz für Kiew enorm, dieses Format wahrzunehmen, um zumindest eine führungs-technische, organisatorische Modernisierung der eigenen Streitkräfte voranzubringen.“


Und Militärexperte Gressel weiter zum dazu deckungsgleichen Kalkül Polens:

Polen weiß, dass das Minsk-Abkommen nur soweit hält, soweit sich Russland Einflusschancen auf anderen Schienen ausrechnet. In der Zeit, in der man relative Ruhe hat, muss man die Zeit nutzen, die ukrainische Armee soweit vorzubereiten, dass die Kosten einer erneuten Eskalation so hoch wie möglich für Russland sind. Nur dann hat die Ukraine eine Chance aus dem Krieg auszusteigen, nicht zu russischen Bedingungen. Und das ist das vordringlichste Ziel, um das es jetzt geht.“


Der Ukraine-Krieg hat die Karten in Sachen „Litauisch-Polnisch-Ukrainische“-Brigade neu gemischt. Peacekeeping und NATO-Beitritt der Ukraine sind bei den Planungen in den Hintergrund getreten. Die gemeinsame Brigade zügig als Trainingsplattform aufzubauen, um die Wehrkraft der Ukraine zu steigern, ist jetzt das Kernziel der Planungen, heißt es aus polnischen und litauischen Regierungskreisen gegenüber dem Autor. Militärexperte Gustav Gressel weiß, wie die Brigade am sinnvollsten zum Training der ukrainischen Armee zu nutzen wäre:

Also vordringlich ist, die ukrainische Armee im mechanisierten Gefecht zu schulen. Das ist das, wo sie bis jetzt die schwersten Niederlagen erlitten haben. In dem Moment, wo die russischen Verbände ihre Überlegenheit, vor allen Dingen im Bereich des Zusammenspiels der Teilstreitkräfte ausspielen konnten, wurde es für die ukrainische Armee bitter.“


Die zugeführten Einheiten: Der Charakter der Einheit als mechanisierte Infanterie-Brigade würde dieses Ziel bestens bedienen. Doch bis jetzt ist nur klar, welche Einheit Litauen in die Brigade einbringen wird: Seine Mechanisierte Infanterie Brigade „Birutè“ in Alytus, so das litauische Verteidigungsministerium gegenüber dem Autor. Warschau und Kiew halten sich noch bedeckt. Zurzeit bereitet ein polnisches Vorauskommando den Aufbau des Brigade-Hauptquartiers in Lublin vor. Als Basis dient der Stab, der dort stationierten 3. Mechanisierten polnischen Brigade. Ein Indiz, dass Polen schlussendlich wohl diese Truppe der Brigade offiziell zuführen wird. Aus dem ukrainischen Verteidigungsministerium war nur die Information zu bekommen, man werde in die Brigade „ein luftbewegliches Bataillon“ einbringen.

Als erster Befehlshaber, des zwischen den Partnern rotierenden Brigade-Kommandos, ist wohl ein Oberst Dariusz Sobotka der polnischen Armee vorgesehen. Diese Angabe stammt von der polnischen Sicherheitsexpertin Anna Dyner vom Polish Institute of International Affairs. Der polnische Generalstab wollte auf Anfrage nur bestätigen, dass der Brigade-Stab künftig rund 100 Mann umfassen wird; darunter 18 Ukrainer und fünf Litauer.Klar ist nur, dass die zur Brigade abgestellten Bataillone, wie bei solchen Projekten meistens der Fall, an ihren Heimatstandorten verbleiben werden; geführt vom Hauptquartier in Lublin aus. Vieles, was über den kleinsten gemeinsamen Nenner „Training für die Ukraine“ hinaus geht, ist noch unklar beim Aufbau der Brigade. 

Die Probleme: Die Ansätze sind also Bescheiden. Und es scheint zwischen den Partnern keine Einigkeit über den genauen Aufbau der Brigade zu geben. Frühere Stellungnahmen des polnischen Militärs sprachen von bereits 300 Mann Brigade-Personal vor Ort. Nun heißt es aus dem polnischen Generalstab, die endgültige Mannstärke der Brigade und andere Details sollen diesen Monat in einer Vereinbarung zwischen den Partnern festgelegt werden. Das wirkt, als seien die Polen vorausgeprescht, die anderen ziehen aber nicht, wie von Warschau erhofft, mit. Seltsam mutet auch an, dass bei politisch-militärischen Treffen in Sachen tri-nationaler Brigade, sich die Ukrainer rarmachen. Dabei sind sie es doch, die im Mittelpunkt des Projekts „Litauisch-Polnisch-Ukrainische“-Brigade stehen.

Ein Grund für die mangelnde ukrainische Präsenz könnte sein, dass die Truppen Kiews selbst zum trainiert werden, zu schwach sind. Militärexperte Gustav Gressel analysiert:

Aus ukrainischer Sicht (ist es) zurzeit etwas schwer, wirklich übungsbereite oder einsatzbereite Verbände dahinein abzustellen, mit denen man auch größere Manöver und Kampf der verbundenen Waffen durchspielen kann. Denn da hat die Ukraine nicht so viele und die, die es hat, stehen im Osten beziehungsweise gegenüber der Krim. Wahrscheinlich, nachdem die Ukraine ihren Bestand an Verbänden zurzeit erhöht, werden sie sich im Sommer, mit einem der neu aufgestellten Verbände hier ein melden.“


Im Herbst sollen die ersten „großen Übungen“ der Brigade stattfinden, so der polnische Generalstab gegenüber dem Autor. Ob damit echte Gefechtsübungen mit Soldaten und Material gemeint sind oder nur Stabsübungen, bleibt vage. Polnische Sicherheitsexperten halten eher letzteres für realistisch und verweisen auf die Anlaufschwierigkeiten der Brigade.

Das Artikel-5-Dilemma: Schwierigkeiten politischer Art könnte das Brigade-Projekt unter Polens Führung in der NATO auslösen. Der Kurs Warschaus einer kompromisslosen Politik der Stärke gegen Russland gilt vielen Westeuropäern als unausgewogener Aktionismus. Speziell Deutschland dürfte von der Brigade wenig begeistert sein. Christian Mölling, Sicherheitsexperte an der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, erläutert wieso:

Die Deutschen haben prinzipiell zu den ganzen Sachen prinzipiell eine defensive Haltung, weil sie die Lead-Nation im diplomatischen Bereich auch sind. Das heißt also, Herr Steinmeier möchte ganz gerne einen Erfolg haben und darf darum fürchten, dass wenn solche Aktionen, wie hier durch Polen kommen, das möglicherweise die Tür öffnet für Russland, dem Westen die Schuld in die Schuhe zu schieben für weitere Eskalationen.“


Das Worst-Case-Szenario für den Westen wäre es, wenn Russland die Brigade dazu nutzen könnte, die Achillesferse der NATO zu treffen – die stets fragile Geschlossenheit der Allianz mit inzwischen 28 Mitgliedern. Dazu Sicherheitsexperte Christian Mölling:

Man kann in der Tat das Szenario durchspielen, dass während einer solchen Übung, Russland möglicherweise sogar ukrainische Truppen beschießt. Um dann einen Fall zu kreieren, das wäre das Schlimmste, indem die NATO gezwungen ist, über die Frage eines Artikel-5-Einsatzes nachzudenken. Dann aber das Argument – das habt ihr selbst verschuldet – in den Vordergrund geschoben werden kann; es nicht zum Artikel-5-Einsatz kommt und auch die Amerikaner nicht eingreifen und sie damit die NATO in einer wichtigen Frage zerlegt haben.“


Das tri-nationale Brigade-Projekt hat also auch ein gewisses Potenzial, zu einem Bumerang für die NATO zu werden, der die Allianz schwächt, anstatt zu stärken.

Auf solche Befürchtungen angesprochen, wiegelt man in polnischen und litauischen Regierungskreisen ab. Von dort heißt es, das Brigade-Projekt sei keine große Sache, lediglich ein kleines Werkzeug unter vielen Trainingsmaßnahmen, um Kiew bei seiner Sicherheitssektor-Reform unter die Arme zu greifen. Auch hier engagieren sich Polen und Litauen, beispielsweise beim Programm zur Modernisierung der Ausbildung an ukrainischen Militärakademien. Und schließlich würden Amerikaner und Briten bereits ukrainische Soldaten trainieren.

Ausblick: Das Kalkül, per Training mehr Wehrkraft für die Ukraine und in der Folge eine stärkere Verhandlungsposition Kiews gegen Moskau, macht Sinn, um das Standing des Westens gegen Russland zu verbessern. Allerdings ist in der Gesamtschau fraglich, ob die „Litauisch-Polnisch-Ukrainische“-Brigade dafür ein sinnvolles Werkzeug ist.

Als strategisches Instrument ist die Brigade riskant und hat keine durchdachte Konzeption der Partner. Auf Anfrage bei den Wehrressorts und Streitkräften der beteiligten Staaten, bekam der Autor alle Szenarien präsentiert, die für so eine Einheit theoretisch denkbar wären – der polnische Generalstab spricht vorsichtig von VN-Missionen. Litauens Wehrressort kann sich die Brigade langfristig sogar als Teil der NATO-Rapid-Reaction-Force vorstellen. Vor allem letzteres ist wenig realistisch, angesichts der grundsätzlichen Bedenken Deutschlands und zahlreicher anderer NATO-Staaten, den Krisenstaat Ukraine in die Allianz zu holen.

Auch ohne strategischen Überbau, nur als Werkzeug zur Wehrertüchtigung, scheint die Brigade nur bedingt hilfreich. Um nennenswert die Kampfkraft ukrainischer Einheiten zu stärken, wirken ihre Kapazitäten zu klein. Auch ein häufiges Argument von polnischer Seite, jeder Beitrag, und sei es nur die Stabsausbildung ukrainischer Offiziere, sei schon ein Gewinn, überzeugt kaum, angesichts der kleinen Anzahl von 18 Offizieren, welche die Ukraine zum Brigade-Hauptquartier nach Lublin entsendet.

Nachtrag: Laut einer Pressemitteilung des Verteidigungsministeriums in Kiew, soll die erste Großübung der Brigade im Dezember unter dem Namen „Triple Bravery 2015“ stattfinden.

(Dieser Artikel ist die ausführliche Variante meines Radio-Beitrags für „streitkräfte & strategien“ auf NDR-Info vom 16. Mai 2015)

2 Gedanken zu „„Litauisch-Polnisch-Ukrainische“- Brigade: gefährliches Manöver in der Sicherheitspolitik?

  1. Aus der ukrainischen Sicht (es ist) derzeit etwas schwierig, wirklich üben bereit oder bereit-Assoziationen, mit denen Sie durch größere Manöver und kombinierte Armeekampf spielen können. Denn die Ukraine hat nicht so viele und sie hat, sind im Osten oder auf die Krim. Wahrscheinlich, nachdem die Ukraine derzeit zunehmende Bestandsaufnahme der Organisationen, sind sie im Sommer, mit den neu gegründeten Verbänden eine Verletzung hier.

  2. Im Großen und Ganzen eine Interessante Entwicklung. Dabei hat der Autor eine wichtige Tatsache nicht beachtet: Die Wiedergeburt des Projekts „Prometheismus“. Die Neuauflage heißt: „Östliche Partnerschaft“ und soll, so A. Merkel, sich nicht gegen Russland richten. Die übereinstimmenden Parallelen zwischen „Prometheismus“ und der „Östlichen Partnerschaft“ sind sofort erkennbar. Die LITPOLUKRBRIG (weitere Mitglieder können beitreten, „freiwillig“ natürlich) ist der Anfang einer gegen Russland gerichteten Allianz, die Herr Brzezinski (Anhänger der Ideen des Prometheismus) in seinen beiden Meisterwerken sehr ausführlich beschrieben hatte. Insgesamt ist es eine sehr besorgniserregende Entwicklung, da Weißrussland sich hartnäckig weigert dieser Allianz beizutreten und die Präsenz der russischen Streitkräfte dort langsam steigt. Sollte sich in Weißrussland das Ukraine-Szenario mit einem Regime-Change abspielen, würde Russland dort ohne zu zögern eingreifen. Aber vielleicht ist es auch ja das Ziel der Strategen jenseits der Atlantik…

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